Wenn die Seele leidet, soll sie Hilfe in Form von Psychotherapie bekommen. So sehen das immer mehr Menschen, so steht es im Gesetz. Nur – welche Hilfe ist die beste? Zwei der bekanntesten Therapieverfahren, die Psychoanalyse und die Verhaltenstherapie, liegen seit Jahrzehnten hierzu miteinander in einer Art Ringkampf. Dabei haben beide Seiten viele Studien durchgeführt, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Und am Ende stand es oft: unentschieden.
Was liegt also im Dienste der Wahrheitsfindung näher, als Hand in Hand an das Thema heranzugehen? – Zwei der renommiertesten deutschen Forscher, die Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber und der Verhaltenstherapeut Martin Hautzinger, haben deshalb gemeinsam ein großes Forschungsprojekt konzipiert, das offenlegen soll, wie die beiden Therapieverfahren sich bei der Behandlung von Depressionen schlagen. Das Resultat ist die sogenannte LAC-Studie, die so heißt, weil sie LAngzeitbehandlungen bei Chronisch depressiven Menschen beforscht.
Schwer belastete Patienten
Warum sollten es diesmal Langzeitbehandlungen sein? Die Psychoanalytiker beschweren sich schon seit langem darüber, dass der psychologische Forschungsbetrieb sie systematisch benachteilige. Die üblichen Forschungsprojekte laufen meist nur über wenige Wochen, eine Psychoanalyse dauert dagegen in der Regel mehrere Jahre. Wie, fragen sie, sollen sich da die eigentlichen Effekte unserer Interventionen zeigen, wenn die Forschung schon nach so kurzer Zeit nicht mehr hinschaut? In dieser Hinsicht ist die 2018 beendete LAC-Studie einzigartig. Noch nie wurde ein Vergleich zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie über eine so lange Zeit durchgehalten. Drei Jahre lang sammelten die Forscher Daten über Therapien mit 252 Patienten, keine Studenten, sondern Patienten aus dem „echten Leben“. Und wie lauten die Ergebnisse?
Die gute Nachricht gleich vorweg: Beide Verfahren waren bei der Behandlung von chronisch Depressiven sehr erfolgreich. Obwohl alle in die Studie aufgenommenen Patienten zu Beginn schwer belastet waren, erzielten ihre Therapeuten sehr gute Erfolge. Je nach Messmethode konnten 45 bis 61 Prozent der Behandelten als geheilt entlassen werden. Viele weitere Patienten berichteten zumindest von deutlichen Besserungen ihrer Symptomatik. Das hatten die Forscher, die kollegial an dieses Unternehmen herangegangen waren, auch so erwartet. Gleichzeitig hatten sie aber auch mit Unterschieden zwischen den Therapieverfahren gerechnet. Und diese Unterschiede haben viel mit dem Vorgehen und dem Selbstbild der beiden Therapieverfahren zu tun.
Verhaltenstherapeuten sehen sich häufig als sehr pragmatisch. Sie orientieren sich an der Gegenwart, erkunden aktuelle Probleme, sortieren diese zu Symptomgruppen und arbeiten diese Symptome dann nacheinander ab. So zumindest das Idealbild. Psychoanalytiker dagegen wollen idealtypisch die Symptomatik aus ihrem – meist in der Kindheit vermuteten – Ursprung heraus verstehen. Sie versuchen die frühe Dynamik in der heutigen Problematik wiederzufinden und wollen damit dem Patienten einen anderen, versöhnlicheren Umgang mit sich selbst ermöglichen. Das Ziel ist eine Veränderung der psychischen Struktur, die den erfolgreich Therapierten auf lange Sicht ein „stärkeres Gefühl der Freiheit und der Möglichkeiten“ eröffnen soll. Ist das geschafft, verschwinden auch die Symptome.
Entsprechend hatten die Forscher erwartet, dass die Patienten schneller auf die verhaltenstherapeutischen Interventionen ansprechen würden; die analytisch Behandelten würden dagegen erst später richtig von der Therapie profitieren. Dafür würden die Ergebnisse aber länger anhalten, glaubten sie.
Längere Therapien lohnen sich
Oftmals sind die Forschungsergebnisse am interessantesten, die nicht erwartet wurden. Und so war es auch im Fall der LAC-Studie: Es fand sich nämlich kein Unterschied bei der Geschwindigkeit der Veränderungen. Beide Verfahren erzielten die größten Veränderungen im ersten Behandlungsjahr. Danach verbesserten sich die Ergebnisse noch langsam und kontinuierlich über die beiden weiteren Jahre. Dieser Befund führte die Forscher zu dem Schluss, dass es sich unabhängig vom Verfahren lohnt, chronisch Depressiven längere Therapien anzubieten.
Und noch eine Überraschung gab es: Um einen Vergleich zwischen den Therapieformen zu ziehen, hätten beide Verfahren in den drei Jahren der Studie ungefähr gleich häufig durchgeführt werden müssen. Die Studie sah vor, dass das mit jedem Patienten zwischen 60 und 80 Sitzungen pro Jahr sein sollten. Jedoch: Die teilnehmenden Verhaltenstherapeuten hatten sich nicht daran gehalten. Sie führten über den ganzen Zeitraum der drei Jahre insgesamt nur 57 Sitzungen pro Patient durch. Für die Psychoanalytiker war das keine gute Nachricht, brauchten sie doch für die gleichen Symptomveränderungen durchschnittlich 234 Sitzungen. Ein Kostenvorteil für die Verhaltenstherapie. Und weniger Aufwand für alle Beteiligten.
Der höhere Aufwand könnte sich aber für psychoanalytisch Behandelte auch lohnen: Tatsächlich hatte sich ihre psychische Struktur nach drei Jahren deutlich stärker verändert. Diese Patienten berichteten fast doppelt so häufig von einem echteren, offeneren Umgang mit sich selbst. Die Psychoanalytiker interpretierten diese Einschätzung als gutes Zeichen für die Zukunft: Wer einen besseren Umgang mit sich selbst gelernt habe, dessen Behandlungserfolg müsste auch länger anhalten. Das könnte auf längere Sicht ebenfalls Kosten sparen, etwa durch die Vermeidung von Arztbesuchen und Arbeitsfehltagen. Ob es den psychoanalytisch Therapierten nach Behandlungsende tatsächlich länger besser geht, wollen die Forscher nun in zwei Jahren erneut überprüfen.
Marianne Leuzinger-Bohleber u. a.: Psychoanalytische und kognitiv-behaviorale Langzeitbehandlung chronisch depressiver Patienten bei randomisierter oder präferierter Zuweisung. Ergebnisse der LAC-Studie. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 73, 2019. DOI: 10.21706/ps-73-2