Dieser Genuss!

Psychologie nach Zahlen: 6 Dinge, die Sie beherzigen sollten, um besser genießen zu können

Illustration zeigt eine Frau, die in einer Tasse Kakao sitzt.
Mmh, Genuss kann so schön sein! Vor allem dann, wenn Sie ein paar Dinge berücksichtigen. © Till Hafenbrak

Es gibt so vieles, was uns guttut: süßes Nichtstun nach einem anstrengenden Arbeitstag, fiebriges Versunkensein beim Lesen eines spannenden Krimis, der Ausblick von einem hohen Berg ins weite Tal, die Wonne, am Strand zu sitzen und hinaus aufs Meer zu schauen.

Das Institut für Ernährungspsychologie an der Universität Göttingen wollte wissen: „Was und wie genießt Deutschland?“ (tinyurl.com/PH-Genuss) Auf den vorderen Plätzen landeten bei der Studie Entspannen und Ausruhen, dann erst kam das Essen. Weiterhin wurde angegeben: Zeit mit der Familie verbringen, draußen etwas unternehmen, flirten und lieben. Genuss sei wichtig, meinten die Allermeisten, doch gleichzeitig hatte mehr als die Hälfte der Befragten den Eindruck, dass sie nicht ausreichend genießen. Wie also geht Genießen?

1 Innehalten

Nichts ist lustfeindlicher als Stress und Hektik, wenn es darum geht, den Moment intensiv zu erleben. Wer genießen will, sollte einen Moment innehalten, um im Augenblick zu schwelgen. Wer das bewusst tut, sammelt Empfindungen, und es entsteht somit eine Art sinnliche Kopfbibliothek.

„Je aufmerksamer wir mit dem umgehen, was uns umgibt, je mehr wir uns angewöhnen, genau zu schmecken oder zu riechen, und all diese Reize variieren, desto differenzierter wird unser Urteil sein“, so der Psychologe und Therapeut Rainer Lutz, der sich auf das Genießen spezialisiert hat. Das braucht Zeit. „Es ist eben ein Irrtum zu glauben, das wir unsere Sinne ‚haben‘ und sie einfach so funktionieren. Was wir haben, sind unsere Möglichkeiten, und die verkümmern, wenn wir sie nicht regelmäßig nutzen.“

2 Sich selbst erkunden

Auch wem das Auskosten schöner Momente nicht in die Wiege gelegt wurde, kann es lernen. Dabei gilt es, die eigenen Bremsen und verinnerlichten Verbotsregeln aufzuspüren, um diese nach und nach zu lockern. Folgende Fragen sind bei dieser Selbsterkundung hilfreich: Was brauche ich in diesem Moment? Was würde mir jetzt Genuss bereiten? Was ist für mich entspannend? Was macht mich zufrieden? Setzen Sie dann Ihre Antworten um! Dass dafür manchmal Mut vonnöten ist, wusste bereits Karl Valentin: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“ Wenn Ihnen auch zum „Mögen“ wenig einfällt: Denken Sie zurück an Ihre Kindheit. Was hat Ihnen damals Freude gemacht? Wir verlieren selten die Vorlieben jener Zeit, vergessen sie höchstens, doch können sie wieder­beleben und erweitern. Dazu ein kleines Experiment. Nehmen Sie, wie vielleicht damals, einen Karamellbonbon. Versuchen Sie, den Geschmack in seinen Nuancen herauszuschmecken. Wie würden Sie das Aroma jemandem beschreiben, der noch nie einen Karamellbonbon gelutscht hat? Wenn Sie nun auch noch versuchen, den Geschmack zu visualisieren, vernetzen Sie Ihr Genussempfinden im Gehirn und stärken dabei Ihr Erfahrungsspektrum.

3 Intensiv beobachten

Staubsaugen, den Vögeln aus dem Fenster zusehen und dabei Schokokekse knabbern? „Die Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick sollte erfolgen, ohne dass mehrere Dinge gleichzeitig getan werden. Und auch ohne dass spontane Bewertungen stattfinden“, so die Psychologin Renate Frank. „Die nichtwertende Haltung aus der Beobachterperspektive führt nach einiger Übung zu einer wohltuenden Gelassenheit.“ Je aufmerksamer wir sind, desto intensiver sind die Erinnerungen, desto tiefer das Erleben und das Auskosten. Aufmerksamsein ist oft auch Bedürfnisaufschub – denn ein Genussmoment ist unvereinbar mit dem Immer-mehr des Konsumverhaltens und der schnellen, suchtartigen Bedürfnisbefriedigung.

4 Neue Lüste entdecken

Barfuss über eine Wiese laufen, sich langsam in ein warmes Lavendelbad setzen, würzige Waldluft einsaugen – probieren Sie aus, was Sie mögen. Setzen Sie sich bewusst neuen Reizen aus, denn wer sich zeitlebens an das Gleiche hält, verpasst nicht nur unentdeckte Freuden, sondern lässt die Sinne verkümmern. Umgekehrt gilt: Genuss intensiviert das Erleben. Er aktiviert das Lustzentrum und stimuliert jene Gehirnregionen, die für unser Wohlbefinden verantwortlich sind. „Durch die sinnlichen Erfahrungen vermehren und verbreiten sich die Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen“, erläutert Hans Markowitsch von der Universität Bielefeld, „und das Hirnvolumen nimmt zu.“ Sich schöne Erlebnisse zu gönnen stärkt außerdem das Immunsystem und ist gesundheitsfördernd.

5 Zeit für die einfachen Dinge

Genießen ist keine Frage des ­Geldes, auch mit kleinem Einkommen und wenig Geld lässt sich die Genuss­fähigkeit erlernen und ausbauen. Wie wunderbar ist zum Beispiel eine gegenseitige Rückenmassage mit dem Partner bei leiser Klaviermusik oder wie köstlich ein ofenwarmes Brot mit Butter und Salz! Genuss ist eine Frage des Könnens und der Verteidigungsstrategien gegen die Lustkiller im Alltag. Lassen Sie sich die Zeiten, die der Lebensfreude gehören ­sollten, nicht nehmen. Sollte ein Aufschieben des Genießens unvermeidbar sein, dann versuchen Sie eben, schon mal die Vorfreude zu genießen!

6 Das Schöne beschränken

Sie können nicht genug von dem bekommen, was Ihnen guttut? Vorsicht, bei einem Zuviel ist Genuss kaum noch möglich, denn Sättigung schließt Genuss aus. Wie war das im Schlaraffenland? Dicke Bäuche und heftiges Bauchweh! Genießen setzt eine differenzierte Wahrnehmung und zeitweise auch eine gewisse Enthaltsamkeit voraus, sonst läuft man Gefahr, in die „hedonistische Tretmühle“ zu tappen. Die besagt, dass wir uns an das Schöne gewöhnen, was zur Folge hat, dass unsere Ansprüche steigen, wir dann immer mehr brauchen, um das geliebte Genusslevel zu erreichen. Das Ergebnis: Der Genuss schöner Dinge geht in ein schnödes Konsumieren über. Immerzu Sahnetorte lässt den Geschmack abstumpfen, ewig blauer Himmel wird langweilig, die immer gleiche Musik hört man sich über. Dinge, die uns eigentlich glücklich machen, werden so zur Normalität. Deshalb kann zeitweiser Verzicht, aber auch der Wechsel von Bedürfnisaufschub und Befriedigung zu wiederkehrendem oder erweitertem Genusserleben führen.

Literatur

Renate Frank: Wohlbefinden fördern, Klett Cotta, Stuttgart 2010

Hans-Joachim Markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur: Erinnern und Vergessen. WBG, Darmstadt 2017

Internet

Studie „Was und wie genießt Deutschland?“: ernaehrungspsychologie.org/index.php/studie-was-und-wie-geniesst-deutschland

„Euthyme Therapie“, Rainer Lutz: rainerlutz.wordpress.com/2015/06/03/hallo-welt/

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2019: Zwischen Liebe und Pflichtgefühl
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