Hanan Saeed Abdo erzählt:
„Wenn ich beim Schwimmen an früher denke, macht mir das Mut. Es zeigt mir, was ich geschafft habe.
Trotzdem wünsche ich mir, meine Erlebnisse wären nur ein böser Traum: Ich bin Jesidin. Als ich 13 war, mussten wir aus dem Nordirak vor dem sogenannten Islamischen Staat fliehen. Monatelang lebten wir in Flüchtlingslagern in der Türkei. 2015 sind wir dann mit einem Schlauchboot nach Griechenland geflohen.
Wir kannten das Meer nur aus dem Fernsehen. Der Bootsfahrer hatte ein Messer. Wir wollten nicht mit, hatten Angst. Aber da waren wir schon auf dem Boot. Alle weinten. „Gleich werden wir ankommen“, sagte ich mir. Aber da kam eine große Welle und das Boot lief voll. Überall Wasser – rechts, links, über mir. Ich schloss meine Augen.
Wir sind alle an Land gekommen, aber dieses Erlebnis ist ein Riesentrauma. Als uns Günter, ein Freiwilliger von der Flüchtlingshilfe, zum Baden mitgenommen hat, konnte ich nur zwei Schritte in den See gehen, weil ich so gezittert habe. Gleichzeitig habe ich gesehen, wie viel Spaß die anderen Kinder hatten. Das wollte ich auch.
Günter gibt Schwimmkurse. Er hat angeboten, mir das Schwimmen beizubringen. Aber als wir im Schwimmbad waren, habe ich mich nicht ins das Wasser getraut. Meine jüngeren Geschwister hatten nicht so große Angst. Das hat mich neidisch gemacht.
Günter hat meine Hände genommen und mich gehalten wie ein kleines Kind. Er hat nicht losgelassen. Jede Woche habe ich mich etwas mehr getraut: drei Meter, eine Bahn, in der Mitte des Beckens schwimmen.
Jetzt gebe ich sogar selbst Schwimmkurse. Wenn Kinder Angst haben, kann ich das sofort verstehen.“
Mehr über ihre Flucht erzählt Hanan Saeed Abdo in der Kurzdokumentation „Seepferdchen“. Der Film von Regisseurin Nele Dehnenkamp Hanan erzielt 2020 die Auszeichnung „Prädikat besonders wertvoll“ von der Deutschen Film- und Medienbewertung FBW.