Unsere beiden nächsten Verwandten, Schimpansen und Bonobos, unterscheiden sich deutlich in ihrem Genderverhalten. Warum ist das für uns Menschen relevant?
Weil es zeigt, dass Verallgemeinerungen schwierig sind. Eine Spezies, der Bonobo, ist weiblich dominiert und sehr friedlich. Und die andere Spezies, der Schimpanse, ist männlich dominiert und ziemlich gewalttätig. Wenn Sie also zum Beispiel sagen wollen, dass die Führung durch Männer natürlich ist, kommen Sie in Schwierigkeiten, weil wir einen nahen Verwandten haben, bei dem die Frauen die Männer dominieren. Und um die Sache noch komplizierter zu machen: Alle Primaten kennen Führung durch Frauen, sogar Schimpansen.
Welche Erkenntnisse gibt es im Hinblick auf die sexuelle Orientierung bei den Primaten?
Da gibt es auch eine große Variabilität, sowohl zwischen Spezies als auch innerhalb einer Art. Die Bonobos zum Beispiel scheinen keinen großen Unterschied zu machen, mit wem sie Sex haben. Ich nenne sie deshalb bisexuell. Und sie haben viel Sex, besonders die Frauen. Ihre Genitalien aneinanderzureiben ist eine Art, wie sie ihre sisterhood und ihre kollektive Kontrolle über die Gruppe aufrechterhalten.
Sie sagen, Verallgemeinerungen sind schwierig. Aber auch bei den Primaten gibt es universelle genderspezifische Unterschiede.
Das ist richtig. Der wichtigste Unterschied besteht beim Kinderspiel. Jungen balgen und toben gerne, während Mädchen sehr an Babys interessiert sind. Dies wurde bei allen 200 Primaten und in Studien beim Menschen festgestellt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Männer körperlich aggressiver und gewalttätiger sind als Frauen. Und einen dritten universellen Unterschied gibt es bei der Empathie: Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass bei Frauen das emotionale Einfühlungsvermögen stärker ausgeprägt ist als bei Männern, das gilt für Menschen und andere Primaten.
Wie sollten wir als Menschen mit diesen universellen Unterschieden umgehen? Akzeptieren, uns widersetzen?
Der erste Schritt besteht darin, sie zu kennen. Es ist gut, die Biologie wieder in die Genderdiskussion einzubringen, weil sie nämlich ziemlich verdrängt wurde. Das bedeutet nicht, dass wir Sklaven unserer Biologie sind. Unsere genetischen Anlagen sind immer im Wechselspiel mit der Umwelt und der Gesellschaft, die wir schaffen. Und wir sind eine extrem flexible Spezies. Ich glaube also nicht, dass die Biologie genau vorschreibt, wie wir uns verhalten sollten, aber es ist gut zu wissen, welche Veranlagungen wir haben.
Auch in der Transgenderdiskussion spielt die Biologie eine große Rolle.
Und das zu Recht. Ich denke, jeder sollte zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Transgendermenschen so geboren werden. Es ist Teil ihrer Biologie, kein gewählter Lebensstil. Ähnliche Individuen gibt es auch bei anderen Primaten. In meinem Buch beschreibe ich eine Schimpansin, Donna, die sich von klein auf und ihr Leben lang wie ein Mann verhielt. Interessanterweise war sie in ihrer Gruppe sehr akzeptiert. Das gilt auch für andere Primaten, die ich kannte, die im Hinblick auf Genderverhalten oder sexuelle Orientierung vom Typischen abwichen.
Der Unterschied zwischen Menschen und anderen Primaten besteht also nicht darin, dass wir mehr Vielfalt im Genderverhalten und der sexuellen Orientierung haben, sondern darin, dass wir weniger tolerant sind. Andere Arten machen kein Aufheben darum.
Interview: Annette Schäfer
Frans de Waal ist Biologe und Primatenforscher, Professor für Psychobiologie an der Emory University und Direktor des Living Links Center am Yerkes National Primate Research Center in Atlanta
Frans de Waals Buch Der Unterschied. Was wir von Primaten über Gender und Sex lernen können ist bei Klett-Cotta erschienen (480 S., € 28,–)