Herr Imbusch, in dem von Ihnen herausgegebenen Band Soziologie der Hinterhältigkeit widmen Sie der Arschkriecherei ein eigenes Kapitel. Was ist denn Arschkriecherei überhaupt?
Arschkriecherei ist zunächst einmal ein Alltagsphänomen, das wir alle kennen und größtenteils auch erkennen, wenn es auftritt. Es gibt dafür viele unterschiedliche Begriffe, sie weisen jedoch alle in eine bestimmte Richtung, die ich mal als eine perfide Schmeichelei bezeichnen möchte. Denn mit der Arschkriecherei möchte der oder die Kriechende ja etwas erreichen – man verfolgt ein Ziel, und dies auf eine strategische Art und Weise.
Durch ein folgsames, gehorsames, anbiederndes, untertäniges oder unterwürfiges Verhalten soll das anvisierte Objekt positiv gestimmt werden und mit Belohnung auf die Schmeichelei reagieren. Das Heuchlerische an der Arschkriecherei besteht darin, dass das entsprechende Verhalten kein Selbstzweck, sondern strategisches Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele oder Vorteile gegenüber Dritten ist.
Und was ist daran hinterhältig?
Wir haben die Arschkriecherei in unser Buch zur Hinterhältigkeit aufgenommen, weil sie sehr genau den Tatbeständen entspricht, die wir definitorisch für hinterhältiges Verhalten ausgemacht haben. Hinterhältig ist die Arschkriecherei, weil die Kriechende den Bekrochenen über ihre wahren Gründe und Absichten täuschen muss; vollends hinterhältig wird es, wenn durch das Kriechen ein direkter oder indirekter Schaden für Dritte eintritt.
Das ist in der Regel der Fall, da sich der Kriecher oder die Kriecherin Vorteile für sich – zum Nachteil anderer – verspricht und diese in der Regel auch erhält. Die Kunst der Arschkriecherei besteht dann darin, gleichwohl so geschickt zu agieren, dass es die anderen nicht merken.
Welche Kommunikationspraktiken sind mit der Arschkriecherei verbunden?
Die Arschkriecherei ist im Grunde ein graduelles und changierendes Konzept mit fließenden Grenzen, sie reicht von der übertriebenen Höflichkeit, dem Verteilen von unangemessenen Komplimenten, einer anbiedernden Anpassung bis hin zur Servilität und einem schieren Opportunismus.
Wichtig ist hier jedoch, dass die Grundstruktur der Arschkriecherei nicht nur ein soziales Handeln ist, welches sich an den Erwartungen, Haltungen und Neigungen der Personen, denen man in den Arsch kriechen will, orientiert, sondern dass Arschkriecherei immer auch mit unterschiedlichen Machtkonstellationen zu tun hat. Der Arschkriecher ist in der Regel machtunterlegen und hegt mehr oder weniger berechtigte Erwartungen im Hinblick auf die Erfüllung seines Anliegens bei der machtüberlegenen Person.
Was verstehen Sie unter dem „paradoxalen Charakter“ der Arschkriecherei?
Phänomene der Hinterhältigkeit, so auch die Arschkriecherei, sind ja gesellschaftlich weit verbreitet und im Grunde allgegenwärtig. Alle kennen Beispiele dafür, manche haben sicher selbst schon mal zum Mittel der Arschkriecherei gegriffen – ohne diese natürlich so zu verstehen. Paradox ist die Arschkriecherei wegen ihres scheinbar unauflöslichen Widerspruchs, nämlich auf der einen Seite ein durchaus verdammenswertes Handeln zu sein, auf der anderen Seite jedoch zugleich massenhaft eingesetzt zu werden.
Durch die Fluidität des Phänomens ist es widersprüchlich, denn als Verhaltensweise ist die Arschkriecherei nicht immer eindeutig, oft ist sie doppelsinnig und entzieht sich einer eindeutigen Bewertung. Eine solch differenzierte Bewertung der Grauzonen und Übergänge ermöglicht überhaupt auch erst, wie der Soziologe Alphons Silbermann von der „Kunst der Arschkriecherei“ zu sprechen.
Peter Imbusch ist Professor für politische Soziologie an der Bergischen Universität Wuppertal
Der Band Soziologie der Hinterhältigkeit wurde von Peter Imbusch herausgegeben (Beltz Juventa, 364 S., € 29,95). Das Kapitel „Auf der Schleimspur – Über Arschkriecherei“ hat er gemeinsam mit Susann Hanspach und Lotta Mayer verfasst