Dem Hass begegnen

In »Woher kommt der Hass?« beleuchtet die Psychologin Anne Otto die Wurzeln des Rechtspopulismus.

Autoritäre Parteien feiern triumphale Wahlerfolge in aller Welt. Was sind die Ursachen des antiliberalen Backlash in den USA, Europa, Indien, Russland, der Türkei, Brasilien und anderen Ländern? Ist unsere Ära des Rechtspopulismus mit den Jahren 1914 oder gar 1933 vergleichbar?

Die Psychologin und Journalistin Anne Otto untersucht in ihrem nüchternen und doch streitlustigen Buch Woher kommt der Hass? die psychologischen und kulturellen Wurzeln des Rechtsrucks in Deutsch­land und den USA. Sie bespricht zahlreiche Forschungsarbeiten zur Entstehung der autoritären Persönlichkeit, welche die Rechtspopulisten aller Couleur gemeinsam hätten.

Sie belegt anhand von Umfragen, dass autoritäre Einstellungen in Deutschland erschreckend weit verbreitet sind. Zudem analysiert sie den Habitus, das Denken und die Rhetorik von AfD-Politikern. Schließlich verrät sie Tipps zum geschickten Umgang mit autoritären Rechten in Alltag und Politik.

Wir gegen sie

Otto zeigt auf, dass im Autoritarismus älterer Deutscher die autoritäre und oft grausame Erziehung nachwirkt, die im Westen bis in die 1960er Jahre und in der DDR noch länger üblich war. Weniger überzeugend ist ihre These, dass viele heutige Erziehungsmethoden nur scheinbar deutlich liberaler seien. Zahlreiche Kinder würden unter aberwitzigen Leistungsanforderungen, Kälte und Liebesentzug leiden. Aber wie viele Kinder sind aufgrund von „subtilen Mechanismen von Anpassung und Leistung“ zu Rechtsextremisten herangewachsen?

Über den Ex-Neonazi Ingo Hasselbach schreibt die Autorin, er sei ein „vernachlässigter Jugendlicher“ gewesen, der sich „ohne viel elterliche Fürsorge durchschlug“. Elterlicher Leistungsdruck war also nicht sein Problem.

Otto warnt vor einem „Geist der Spaltung“, der sich hierzulande in sämtlichen Milieus zeige. Nicht nur Rechte stellten die eigene Gruppe über Fremdgruppen. Der selbstgerechte Vergleich mit anderen diene der emotionalen Stabilisierung der eigenen Identität. Zu einer ernsten Gefahr werde diese Wir-gegen-sie-Mentalität, wenn sie sich zu einem starren Hierarchie­denken mit unkorrigierbaren, stark abwertenden Vorurteilen verfestige. Wissenschaftler sprechen von „sozialer Dominanzorientierung“.

Untersuchungen zufolge hegt jeder fünfte Deutsche starke Vorurteile gegen mehrere Fremdgruppen. „Abwertungen und Ressentiments nehmen zu“, meint Otto. Überheblichkeit werde zum Gesellschaftsprinzip.

Die sozioökonomischen Faktoren

Die Autorin bespricht Studien, denen zufolge unsere Lebensstile und politischen Werte meist wesentlich stärker von Gruppenmilieus geprägt würden, als wir ahnen. Sie fürchtet, dass wir uns immer stärker in Soziotopen abschotten, in denen wir zu selten mit anderen Lebensweisen und Ansichten in Berührung kommen. Hoffnung schöpft sie aus Studienergebnissen, die besagen, dass einfache Kontakte mit kulturellen Minderheiten, Homosexuellen oder Andersdenkenden ausreichen, um Vorurteile deutlich zu reduzieren. Deshalb ermuntert sie uns, Kontakte zwischen Gruppen aller Art zu knüpfen.

Otto nennt viele gute Gründe, warum wir mit autoritären Rechten möglichst gelassen, höflich und sachorientiert sprechen sollten. Sie unterstreicht jedoch, dass Schwäche und falscher Respekt die Hass­ideologien rechter Hetzer salonfähig machen.

Die Autorin zieht aus der Tatsache, dass viele Populisten zu den Mittel- und Oberschichten zählen, den voreiligen Schluss, dass die innere Dynamik des Autoritarismus den Rechtsruck „zum Teil besser als Einkommensstatus, Wohnort oder Bildungsstand“ erkläre. Sie unterschätzt die Erklärungskraft sozioökonomischer Faktoren.

Christian Welzel und Ronald In­glehart, Gründungspräsident des World Values Survey, belegen in ihren Büchern und Artikeln, dass die steigenden Lebensstandards und die Bildungschancen der Nachkriegszeit zur starken Verbreitung liberaler, demokratischer und kosmopolitischer Werte in allen Weltregionen geführt haben. Für die letzten Jahre zeigen ihre Daten eine Stagnation des Wertewandels und wachsende Polarisierung, die sich größtenteils auf steigende Ungleichheit, Wirtschaftskrisen und Vernachlässigung ländlicher Gebiete zurückführen lassen.

Ottos anregende Einführung in die Psychologie des autoritären Populismus macht Mut, unser demokratisches Gemeinwesen mit demokratischen Mitteln zu verteidigen.

Anne Otto: Woher kommt der Hass? Die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, 270 S., € 22,–

Artikel zum Thema
Gesellschaft
Vor fast 70 Jahren veröffentlichte Theodor W. Adorno seine Studien zum autoritären Charakter. Seine Antworten sind auch heute noch aktuell.
Gesellschaft
Der Kinderarzt und Wissenschaftler Herbert Renz-Polster über den weltweiten Rechtsruck und dessen Ursachen.
Armut und Gewalt prägten Hatice Schmidts Kindheit. Noch heute wacht sie manchmal schweißnass auf. Was hilft ihr gegen die Angst vor der Vergangenheit?
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2020: Wer bin ich noch?
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft