Überall auf der Welt gibt es konservativ und reformerisch denkende Menschen – und nicht erst seit heute. Der britische Philosoph John Stuart Mill nannte es schon im 19. Jahrhundert eine „Binsenweisheit“, dass in der Politik „eine Partei für Ordnung und Stabilität und eine Partei für Fortschritt und Reform“ eintrete. „Unterschiedliche Menschen“, befand Aristoteles 350 Jahre vor Christus, „schaffen sich unterschiedliche Formen von Regierungen.“ In der französischen Nationalversammlung, die nach der Revolution von 1789 einberufen wurde, saßen die egalitären Jakobiner links, die bürgerlichen Girondisten rechts im Parlamentssaal. Aber worin bestehen diese Unterschiede zwischen den Menschen links und rechts der Mitte? Psychologen haben sich auf die Suche begeben und einiges gefunden.
1 GEFAHR
Konservative fühlen sich oft nicht sicher – kein Wunder, dass sie vergleichsweise sensibel auf echte oder vermeintliche Bedrohungen etwa durch Kriminalität oder Einwanderung reagieren. Sie mögen keine Zweideutigkeiten und haben ein starkes Bedürfnis nach Struktur und Ordnung. In Langzeitstudien wurde das Temperament von Kindergartenkindern erfasst und verfolgt, was aus ihnen wurde. Waren die Kinder verhältnismäßig ängstlich, verletzlich, misstrauisch und grüblerisch, entwickelten sie sich eher zu Konservativen. Selbstbewusste und zupackende Kinder wuchsen dagegen eher zu Liberalen heran. Selbst im Gehirn zeigen sich Unterschiede. Konservative verfügen im Schnitt über größere Mandelkerne, die beim Empfinden von Ängsten eine Rolle spielen.
2 KÖPFCHEN
Sicher: Es gibt kluge Konservative und nicht sonderlich helle Linke. Im Durchschnitt aber schneiden Erstere in Intelligenztests etwas schlechter ab als Letztere. Kinder, denen ein Test einen hohen IQ bescheinigt, entwickeln sich eher zu Linken, die mit schlechteren Ergebnissen eher zu Rechten. Ein Erklärungsversuch: Intelligenz ermöglicht, offen zu denken – und Offenheit in der Weltanschauung gilt wiederum als Markenzeichen von Liberalen. Allerdings haben sich Befunde nicht bestätigt, die Konservativen einen Hang zum Dogmatismus unterstellten. Zwar bejahten sie eher die Standardfragen eines Dogmatismustests, etwa: „Eine Gruppe, die zu viele Meinungsunterschiede unter ihren Mitgliedern zulässt, kann nicht lange existieren.“ Doch es hat sich herausgestellt, dass sich das Bild ändert, sobald die Frage einen anderen politischen Bezug erhält: „Eine Umwelt-Gruppe, die zu viele Meinungsunterschiede unter ihren Mitgliedern zulässt, kann nicht lange existieren.“ Schon reagieren Linke genauso dogmatisch wie Konservative. Laut anderen Studien denken Konservative sogar ganzheitlicher als Linke. Letztere bevorzugen tendenziell einen analytischen Denkstil, wie er vor allem in westlichen Industriestaaten anzutreffen ist, seltener aber im Rest der Welt. Ironischerweise würde dies bedeuten, dass sich gerade die auf Abgrenzung bedachten Konservativen mit ihrem holistischen Denkstil in Einklang mit der großen Mehrheit der Weltbevölkerung befinden.
3 ICH UNIKAT!
Linke halten sich für größere Individualisten als Konservative und wollen das auch sein. Ihre politischen Ansichten halten sie ebenfalls für so außergewöhnlich, dass andere sie ihrer Einschätzung nach eher nicht teilen. Das zeigte sich in einer Studie von Chadly Stern an der New York University, bei der es um politische Fragen wie militärische Aufrüstung ging. Konservative überschätzten ihre Übereinstimmung mit dem Rest der Bevölkerung, während Linke sich stärker in der Minderheit sahen, als sie es tatsächlich waren. Dieses Ergebnis ließ sich zu einem guten Teil mit ihrem Wunsch nach Individualität erklären. In politischen Auseinandersetzungen ist dieser Hang ein Nachteil, glaubt Stern. Während beispielsweise die rechte Tea Party-Bewegung in den USA großen Einfluss errang, blieb von der linken Occupy Wall Street-Bewegung genauso wenig übrig wie von ihrem deutschen Pendant.
4 ALLES IN BUTTER
Konservative sind glücklicher – in vielen Ländern der Welt. So priesen sich in einer US-Umfrage 47 Prozent der konservativen Republikaner als sehr glücklich, aber nur 28 Prozent der liberalen Demokraten. In Deutschland existiert diese Glückslücke ebenfalls, auch wenn sie nicht besonders groß ist. Manche Forscher führen den Glücksvorsprung der Konservativen schlicht darauf zurück, dass sie mehr verdienen. Andere machen einen Zusammenhang mit der konservativen Neigung aus, die Welt gerecht zu finden: Geht es jemandem schlecht, suchen Konservative die Schuld eher bei dem Betreffenden selbst als „im System“. Linke dagegen leiden an den Ungerechtigkeiten der Welt. Zählen sie selbst zu den Privilegierten, haben sie Schuldgefühle, die in den USA liberal guilt genannt werden. Auch laut einer deutschen Studie von Sebastian Butz (Universität Mannheim) sind Konservative zum Teil deshalb glücklicher, weil sie mit den herrschenden Verhältnissen zufrieden sind. Eine Rolle spielt aber auch ihr größeres Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Religion und vor allem zu ihrer Glaubensgemeinschaft.
5 DIE SCHÖNSTEN
Konservative Politiker sehen besser aus als linke. Das zeigte sich jedenfalls beim Begutachten von Kandidatenfotos aus Wahlkämpfen in Australien, den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. Aber woran liegt es? Sehen vielleicht nicht speziell konservative Politiker, sondern Konservative allgemein vorteilhafter aus? Ein finnischer Forscher ging dieser Frage am Beispiel von Bildern rechter und linker Gelehrter nach. Auf den ersten Blick schienen die Konservativen tatsächlich attraktiver. Doch sie taten auch mehr für ihr Aussehen, wie eine genauere Analyse ergab: Konservative erwiesen sich als besser gepflegt und besser gekleidet. Wird dies abgezogen, sind sie sogar weniger attraktiv – warum auch immer. Auch der Grund, warum zumindest die Gelehrten rechts von der Mitte sich mehr um ihr Aussehen kümmern als ihre linken Kollegen, ist offen. Vielleicht wollen sie eher Karriere machen, spekuliert der Autor der Studie.
Literatur
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