Am 16. Februar 2011 meldete die Süddeutsche Zeitung, der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg habe einige Passagen seiner Doktorarbeit „ohne Angabe von Quellen wörtlich zitiert“. Zwei Studenten, die damals selbst promovierten, fanden das ungerecht. Sie beschlossen, etwas zu unternehmen. Flugs gründeten sie die Internetplattform „GuttenPlag Wiki“. Fünf Tage später hatten Freiwillige auf 286 Seiten des 475-Seiten-Werks Plagiate gefunden. Täglich wurden es mehr.
Was die beiden Studenten und ihre Unterstützer taten, nennen Psychologen peer punishment, also die Ahndung von Regelverstößen durch andere. „Bis spät nachts sitze ich an meiner Doktorarbeit, seit Monaten bestimmt sie mein Leben – und dann umgeht jemand anders diesen Aufwand“, begründete einer der beiden Gründer von „GuttenPlag Wiki“ in einem Interview seine Entscheidung. Das sei ungerecht und nehme dem Titel die Würde. Wer bei der Doktorarbeit schummele, bringe ein akademisches Gütesiegel in Verruf – zulasten all derer, die die Mühe auf sich nähmen, alles sauber zu zitieren.
Forscher der Universität Ulm haben nun gezeigt, dass es bei peer punishment ganz maßgeblich auf die Rahmenbedingungen ankommt: Es funktioniert dann besonders gut, wenn die Gruppe demokratisch entscheidet, ob ein Mitglied bestraft werden soll oder nicht. Die Sozialpsychologen baten insgesamt 120 Studenten, an einem einfachen Spiel teilzunehmen. Zunächst losten sie die Teilnehmer zu Vierergruppen zusammen. Jeder von ihnen erhielt 20 Cent als Startkapital. Davon konnten sie einen beliebigen Teil in eine Gemeinschaftskasse einzahlen. Die Teilnehmer wussten, dass der Inhalt dieser Kasse am Ende der Runde mit 60 Prozent verzinst und die Summe anschließend gleichmäßig unter ihnen verteilt werden.
Immer weniger in der Gruppenkasse
Einerseits belohnen diese Regeln kooperatives Verhalten: Schließlich generiert jeder Cent im Sparschwein einen Mehrwert, der wiederum allen Gruppenmitgliedern zugute kommt. Am meisten jedoch profitieren diejenigen von dieser Regel, die ihr gesamtes Geld für sich behalten. Denn sie erhalten am Ende zusätzlich noch ihren Anteil am aufgestockten Sparschwein-Inhalt – obwohl sie dazu ja gar nichts beigetragen haben. Es ist ähnlich wie bei den Steuern: Wer den Fiskus betrügt, dem bleibt als Resultat mehr Geld im eigenen Portemonnaie. Dennoch kann er das öffentliche Straßennetz nutzen, das aus den Taschen der ehrlichen Steuerzahler bezahlt wurde.
Für den Einzelnen ist Kooperation also nicht unbedingt die profitabelste Strategie. Daher zeigen zahlreiche Studien, dass die Zahlungsmoral im oben skizzierten Spiel mit der Zeit immer mehr abnimmt. Das war auch in dem Experiment der Ulmer Wissenschaftler der Fall. Ihre Probanden spielten insgesamt über sechs Runden. Anfangs verhielten sie sich noch relativ gemeinschaftsdienlich. Von Runde zu Runde zahlten sie jedoch weniger in die Gruppenkasse ein.
Mehr Ausgaben für Strafen als Einnahmen
Das änderte sich, als die Psychologen eine zusätzliche Regel einführten: Die Teilnehmer konnten nun dafür sorgen, dass Mitspielern Geld abgezogen wurde. Sie mussten für diese Sanktionen zwar selbst etwas bezahlen, aber sie machten von dieser Sanktionsmöglichkeit rege Gebrauch und bestraften dabei vor allem die Gruppenmitglieder, die nur wenig in das Sparschwein eingezahlt hatten. Mit messbarem Erfolg: Anders als zuvor sanken die Beiträge zur Gruppenkasse diesmal nicht ab, sondern blieben konstant. Dadurch fielen auch die 60-prozentigen Bonuszahlungen entsprechend höher aus.
Paradoxerweise machte das Viererteam dennoch Verluste: Die Mitglieder gaben zusammen mehr Geld für Strafen aus, als sie durch die verbesserte Kooperation zurückgewannen. Denn Strafen, so die Schlussfolgerung, ist unproduktiv – es vernichtet Ressourcen. Wenn jeder einen großen Teil seiner Zeit damit verbrächte, fremde Doktorarbeiten auf abgeschriebene Passagen zu untersuchen, dann würden dadurch zwar Betrüger abgeschreckt. Die Gesellschaft würde davon aber nicht in deutlichem Maße profitieren.
Demokratische Regeln sorgen für Fairness
Die Ulmer Studie zeigt, dass gemeinschaftliches Strafen unter bestimmten Rahmenbedingungen dennoch einen Mehrwert bringen kann. In einer dritten Version des Spiels wurden nämlich nur dann Sanktionen gegen einen Mitspieler verhängt, wenn die Mehrheit explizit zustimmte. In der Folge kam es deutlich seltener zu kostspieligen Strafaktionen. Dennoch zahlten die Spieler mit der Zeit immer mehr in die Gruppenkasse ein. Das demokratische Element sorgte nämlich dafür, dass die Spieler die Regeln als fairer empfanden. Das heißt: „Fairness erzeugt Vertrauen, und wenn wir anderen vertrauen können, sind wir eher bereit, mit ihnen zu kooperieren“, erklärt der Ulmer Sozialpsychologe Dr. Stefan Pfattheicher. Und folgert weiter: Sanktionen – etwa fürs Schwarzfahren im Nahverkehr – sind „noch wirksamer, wenn diejenigen, die sich kooperativ verhalten, ein Mitspracherecht bei der Entscheidung über die Strafe bekommen“.
Stefan Pfattheicher u. a.: The advantage of democratic peer punishment in sustaining cooperation within groups. Journal of Behavioral Decision Making, 2018. DOI: 10.1002/bdm.2050