Harry und Sally waren ein ziemlich ungleiches Paar. Oder Sissi und Franz, Goethe und Christiane Vulpius. Aber solche Beispiele springen gerade deshalb ins Auge, weil sie eben nicht die Regel sind. Im Gegenteil: Menschen, die als Paar zusammenleben, sind sich häufig nicht nur in ihren Gewohnheiten, sondern auch in körperlichen Merkmalen wie etwa ihren Gesichtszügen ziemlich ähnlich. Das hat der Anthropologe James Norman Spuhler schon im Jahr 1968 empirisch festgestellt, und verhaltensgenetische Studien haben es seither vielfach bestätigt. Weniger klar ist, wie es zu dieser Ebenbildhaftigkeit kommt. Hier fünf potenzielle Ursachen:
1 Gene
Narziss verliebte sich in sein Spiegelbild, und das nahm kein gutes Ende. Vielleicht hätte er besser daran getan, sich in ein fremdes Antlitz zu verlieben, in dem er sich ebenfalls gespiegelt gefunden hätte. Denn so halten es offenbar viele von uns, wie im Jahr 2013 eine norwegische Studie zeigte. Der Psychologe Bruno Laeng und sein Team baten 20 junge heterosexuelle Paare ins Labor. Dort präsentierten sie diesen 40 Personen einzeln eine Reihe von computerbearbeiteten („gemorphten“) Porträtfotos ihres Lebenspartners. Doch diese Gesichter waren unmerklich mit Zügen einer anderen Person vermengt – bisweilen war das Antlitz des Betrachtenden selbst in den Gesichtern versteckt. Wie sich herausstellte, zog es die Versuchspersonen gerade zu diesen ichähnlichen Gesichtsvarianten der Partnerin oder des Partners besonders hin. Sie fanden dieses Antlitz sogar attraktiver als eine auf die Idealmaße zurechtgemorphte Gesichtsabbildung.
Doch warum stehen wir auf Menschen, die uns selbst ähnlich sind? In der Evolutionspsychologie spricht man von „gerichteter Partnerwahl“ (assortative mating). Nach dieser Theorie streben Menschen und andere Spezies danach, die eigenen Gene besonders unverfälscht an den Nachwuchs weiterzugeben, indem man nach Sexualpartnern sucht, deren Genom dem eigenen ähnelt.Dass das Gesicht zu diesem Zweck ein guter Hinweisgeber ist, belegt eine 2022 veröffentlichte Studie aus Barcelona. Der Mediziner Manel Esteller und sein Team griffen dabei auf ein Kunstprojekt des kanadischen Fotografen François Brunelle zurück. Dieser hatte über zwei Jahrzehnte hinweg quer über den Globus einander unbekannte Menschen ermittelt, die sich in ihren Gesichtszügen verblüffend ähnelten. Diese „Doppelgänger“ fotografierte er jeweils paarweise. Estellers Team gelang es, 32 dieser Ähnlichkeitspaare für eine genetische Untersuchung zu gewinnen – und tatsächlich bestätigten die Speichelproben auffällige Ähnlichkeiten im Genom der Gesichterdoubles.
2 Prägung
Menschen fühlen sich offenbar nicht nur zu Gesichtern hingezogen, die ihrem eigenen ähneln, sondern auch zu solchen, in denen sich der Vater oder die Mutter spiegelt. Im Jahr 2010 zeigten die US-Psychologen Chris Fraley und Michael Marks ihren Versuchspersonen Fotos von Personen des jeweils anderen Geschlechts, deren Attraktivität sie einschätzen sollten. Sie fanden die Gezeigten attraktiver, wenn man zuvor unterschwellig, für Bruchteile einer Sekunde den Frauen ein Foto ihres Vaters und den Männern eines ihrer Mutter präsentiert hatte – ganz so, wie Freud es vorhergesagt hätte.Die evolutionspsychologische Deutung: Auch der Vater, die Mutter repräsentieren die eigenen Gene, und in der Kindheit verankert sich dieses Schema des geliebten Menschen durch Prägung im Gehirn und wird später zur Schablone für potenzielle Partner. Allerdings sind Experimente mit unterschwelliger (subliminaler) Wahrnehmung generell umstritten und die Befunde daher mit Vorsicht zu genießen.
3 Seelenverwandtschaft
Genetische Ähnlichkeit wird vielleicht nicht nur über das Aussehen erspürt, sondern auch über ein Gefühl von Vertrautheit und Seelenverwandtschaft vermittelt: Dieser Mensch passt zu mir! Wie die Forschung seit langem weiß, gilt in Liebesdingen: Gleich und Gleich gesellt sich gern.Das wurde jüngst in einer wahren Mammutstudie bestätigt. Die Psychologin Tanya Horwitz von der University of Colorado und ihre Mitforschenden analysierten 199 Studien mit Millionen von Paaren, und sie griffen zudem auf einen britischen Datensatz mit fast 80000 Paaren zurück. Sage und schreibe 133 psychische und auch andere Merkmale wurden paarweise verglichen. Das Ergebnis: In 82 bis 89 Prozent dieser Merkmale waren die Partner sich ähnlich. Besonders stark war die Übereinstimmung in politischen und religiösen Einstellungen, sowie in Bildung und Intelligenz.Bei den Persönlichkeitseigenschaften wie etwa Extraversion oder Dünnhäutigkeit (Neurotizismus) war die Ähnlichkeit hingegen schwächer als erwartet. Die Analyse umfasste ausschließlich Paare aus Mann und Frau; gleichgeschlechtliche Paare sollen jetzt in separaten Studien untersucht werden.
4 Lebensstil
Wer als Paar zusammenlebt, entwickelt – so sollte man meinen – einen ähnlichen Lebensstil: Man ernährt sich eher fett oder vegan, geht zusammen joggen oder hängt auf der Couch ab. Werden die beiden sich durch solche Gewohnheiten immer ähnlicher, etwa was ihr Gewicht angeht? Ein spanisches Forschungsteam durchforstete 2010 die Datensätze einer zweijährlichen Erhebung in den USA und stellte fest: Ja, die Paare stimmten in ihrem Body-Mass-Index tatsächlich stark überein. Aber: Diese Ähnlichkeit ist bei Frischvermählten stärker als bei schon länger Liierten; legt also der eine an Pfunden zu, tut dies die andere noch lange nicht.
5 Einfühlung
Aber vielleicht ist nicht der Lebensstil der entscheidende Faktor, sondern etwas Subtileres, nämlich das emotionale Aufeinandereinschwingen im Lauf der gemeinsamen Jahrzehnte. In einer Pionierstudie von Robert Zajonc und seinem Team aus dem Jahr 1987 betrachteten Versuchspersonen Fotos, die Paare entweder im Hochzeitsjahr oder 25 Jahre später zeigten. Tatsächlich wurden die Gesichter der Langvermählten als einander ähnlicher eingestuft als die der Ehefrischlinge. Zajoncs originelle Erklärung: Mit den Ehejahren wächst das empathische Mitfühlen unter den beiden und das spiegelt sich als Mimikry in den Gesichtsmuskeln und auf lange Sicht dann auch in den Gesichtszügen.
Ob Paare einander mit der Zeit wirklich ähnlicher werden, als sie es ohnehin von Beginn an sind, ist allerdings nicht sicher. Auf die Persönlichkeit scheint dies nicht zuzutreffen, wie die Psychologin Mikhila Humbad und ihre Mitforschenden im Jahr 2010 feststellten. Sie analysierten die Persönlichkeitsfragebögen von 1296 amerikanischen Ehepaaren und kamen zu dem Schluss: In den meisten Fällen glichen sich die Wesenszüge über die Jahre nicht an. Man bleibt Individuum – auch nach Jahrzehnten der Ehe.
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Quellen
Bruno Laeng u.a.: Is Beauty in the Face of the Beholder? Plos one, 10. Juli 2013
Richy S. Joshi, Manel Esteller u.a.: Look-alike humans identified by facial recognition algorithms show genetic similarities. Cell Reports, 40/8, 2022, 111257
R. Chris Fraley, Michael J. Marks: Westermark, Freud, and the Incest Taboo: Does Familial Resemblance Activate Sexual Attraction? Personality and Social Psychology Bulletin, 36/6, 2010
Tanya B. Horwitz u.a.: Evidence of correlations between human partners based on systematic reviews and meta-analyses of 22 traits and UK Biobank analysis of 133 traits. Nature Human Behaviour, 7, 2023, 1568–1583
Sonja Oreffice, Climent Quintana-Domeque: Anthropometry and socioeconomics among coupes: Evidence in the United States. Economics & Human Biology, 8/3, 2010, 373–384
Robert B. Zajonc u.a.: Convergence in the physical appearance of spouses. Motivation and Emotion, 11, 1987, 335–346
Mikhila N. Humbad u.a.: Is Spousal Similarity for Personality A Matter of Convergence or Selection?Personality and Individual Differences, 49/1, 2010, 827–830