„Ich fühle mich so eingeengt!“

Therapiestunde: In der Psychotherapie lernt eine Frau, sich wieder freier und beweglicher zu fühlen. Ihre Rheumabeschwerden werden besser.

Als ich die 39-jährige Marion in meiner Praxis begrüße, fallen mir sofort ihre etwas ungelenken Bewegungen auf. Sie wirkt steif, ihre Haltung wie eingefroren. Marion berichtet, seit langem unglücklich zu sein. Ihr Leben sei ermüdend und einengend. Und die rheumatoide Arthritis – mit diesen Worten streckt sie mir ihre Hände mit den für die Erkrankung typischen Schwellungen entgegen – schränke sie zusätzlich noch ein. Medizinische Maßnahmen hätten bisher kaum Linderung gebracht. Sie fühle sich körperlich und psychisch gehandicapt.

Mich interessiert, wann ihre körperlichen Beschwerden erstmals aufgetreten sind und in welcher Lebenssituation sie sich damals befunden hat. Das sei etwa drei Jahre her, zu der Zeit habe sie begonnen, sich in ihrer Ehe sehr unwohl und eingeschränkt zu fühlen. Ihr Mann sei fürsorglich, wolle fast alles mit ihr zusammen machen und lasse ihr kaum Luft zum Atmen.

Marion erzählt weiter, dass sie sich seit vielen Jahren auch in ihrem Beruf sehr festgefahren fühle. Sie leide sehr unter ihrer langweiligen Tätigkeit als Bürokauffrau, sehe aber für sich keine Möglichkeiten zur Veränderung. Darüber hinaus sei das Verhältnis zu ihren Eltern von Vorwürfen bestimmt, sie würde sich nicht genügend kümmern. Wut auf die Ansprüche und Schuldgefühle wechselten sich bei ihr ab und ließen sie keine befriedigende Lösung finden.

Kein Spielraum mehr, weder privat, noch beruflich

Für mich wirkt Marions körperliche Erkrankung, die rheumatoide Arthritis, wie eine somatische Metapher des sie beherrschenden Gefühls der Unbeweglichkeit und des Festgefahrenseins. So eingeschränkt sie ihren Körper mit den steifen Gelenken erlebt, so eingeschränkt fühlt sie sich auch im beruflichen und privaten Bereich. Sie meint, hilflos und ohnmächtig zu sein, jeglicher Möglichkeit zur Freiheit beraubt, sowohl in der Beziehung zum Ehemann als auch zu den Eltern. Auch in beruflicher Hinsicht glaubt sie, keinen Bewegungsspielraum zu haben und in ihrer ungeliebten Tätigkeit auf ewig feststecken zu müssen.

Als ich Marion meine Gedanken mitteile, ist sie zuerst einmal sehr überrascht. Sie geht davon aus, dass ihre körperliche Erkrankung völlig unabhängig von ihrem seelischen Zustand ist. Obwohl die Ursachen der rheumatoiden Arthritis nicht abschließend geklärt sind, wird für deren Entstehung eine Fehlsteuerung innerhalb des Immunsystems angenommen.

Und diese Fehlsteuerung steht auch im Zusammenhang mit belastenden Gefühlen und konfliktreichen Lebenssituationen. Diese gehen mit einer vermehrten Produktion von Entzündungswerten einher, die das Immunsystem aus dem Gleichgewicht bringen. Marions Gefühl des Feststeckens könnte ihr Immunsystem aktiviert haben und so für erhöhte Entzündungswerte in den Gelenken geführt haben.

Was tun gegen das Gefühl der Unbeweglichkeit?

Da ein Zusammenspiel zwischen Psyche und Immunsystem besteht, kann versucht werden, immunologische Prozesse auch mithilfe psychologischer Verfahren günstig zu beeinflussen. Marions Gefühl des Feststeckens muss verändert werden. Ihr Leben soll wieder in Bewegung geraten; die vielfältigen Konflikte, die sie als ausweglos erlebt, sollen gelöst werden. Wir machen uns an die Arbeit. Zuerst beschäftigen wir uns mit ihrer Ehe, die sie als extrem einengend erlebt.

Als ich sie frage, wie sie sich mehr Freiraum verschaffen könnte, fällt ihr ein, dass sie sich gern mal ohne ihren Mann mit Freundinnen treffen würde. Sie hat auch von einer Literaturgruppe gehört, in der gemeinsam Romane gelesen und Meinungen über das jeweilige Buch ausgetauscht werden. Die Gruppe interessiert ihren Mann nicht; darum hat sie sich bisher auch nicht darum gekümmert.

Während wir miteinander sprechen, fällt Marion auf, dass sie bisher weniger an ihre eigenen Wünsche gedacht hat, sondern dass sie dazu neigt, es ihrem Mann recht machen zu wollen. Der Gedanke „Ich muss es anderen recht machen“ kommt ihr bekannt vor. Genauso empfindet sie gegenüber ihren Eltern, die sie mit Ansprüchen überziehen, gegen die sie sich nicht zu wehren weiß.

Erinnerungen an ihre Kindheit tauchen auf. Ihre Eltern gingen übervorsichtig mit ihr um und ließen sie nur ungern etwas allein ausprobieren. Marion erkennt, dass auf diesem Wege Unsicherheit und Entscheidungsunfähigkeit geschürt wurden. Sie beschließt, aktiv zu werden, und initiiert ein Treffen mit ihren Freundinnen. Und sie stellt fest, dass ihr Mann nichts dagegen einzuwenden hat, obwohl ihm ihre Aktivität nicht besonders gefällt.

Diese Erfahrung macht Mut, und sie beginnt ganz vorsichtig, sich auch gegenüber ihren Eltern abzugrenzen, indem sie die Häufigkeit ihrer Besuche festlegt. Durch diese Initiativen fühlt sie sich bereits befreiter.

Intensiv erlebte Vorstellungen können heilsam wirken

Es wird vermutet, dass immunologische Prozesse auch mithilfe von Suggestionstechniken beeinflusst werden können. Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen einer tatsächlichen positiven Erfahrung und einer intensiv erlebten Vorstellung.

In beiden Fällen werden körpereigene Selbstheilungskräfte aktiviert, die den Entzündungszustand wieder senken. Als ich Marion bitte, ein Bild mit der Vorstellung „Wie werde ich wieder gesund?“ zu entwickeln, fällt ihr eine Reinigungstruppe ein, die ihre kranken Gelenke säubert. Dieses wohltuende Bild wird zu einem ständigen Begleiter.

Im Laufe der Therapie bitte ich Marion immer mal wieder, den Ausprägungsgrad ihrer Gelenkbeschwerden einzuschätzen. Während sie ihre Beschwerden zu Beginn als sehr stark einschätzte, bewertet sie sie zum Schluss als eher leicht.

Wenngleich Marion am Ende der Therapie nicht völlig symptomfrei ist, fühlt sie sich doch beweglicher und insgesamt befreiter. Das Gefühl der Unbeweglichkeit ist aus ihrem Leben verschwunden. Sie hat sich auf den Weg gemacht, neue Perspektiven zu entwickeln.

Gabriele Eßing ist Psycho­logische Psychotherapeutin und arbeitet in eigener Praxis in Berlin. Sie ist Autorin des Buches Praxis der Neuro­psychotherapie. Wie die Psyche das Gehirn formt (DPV 2015)

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2018: Kann ich mich ändern?
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