"Ich weiß, es klingt schrecklich"

Warum Paare, die sich für modern halten, sich im Alltag mit Kindern ganz anders verhalten, zeigt eine Studie mit Doppel-Verdiener-Paaren.

Regelmäßig absprechen, wer wann was macht, wenn es um das Kind geht, scheint die Voraussetzung dafür zu sein, dass eine faire Verteilung der Arbeit gelingt. © Westend61/Getty Images

Blind für die Realität, blind für Optionen, Gender-Kompetenzfallen – diese drei Mechanismen hindern laut einer Studie Doppelverdiener-Paare mit Kindern daran, sich die Betreuung der Kinder sowie den Haushalt wirklich fair aufzuteilen – auch wenn Gleichheit auf diesem Gebiet Teil ihres Selbstverständnisses ist. Drei Forscherinnen aus Großbritannien, Laura Radcliffe, Catherine Cassell und Leighann Spencer befragten 30 britische heterosexuelle Doppel-Verdiener-Paare mit bis zu drei schulpflichtigen oder jüngeren Kindern in einmaligen Tiefeninterviews sowie in Online-Tagebüchern. Sie wollten wissen, welches Selbstverständnis die Befragten als Paar hatten und wie sie alltägliche Entscheidungen trafen, wenn die Arbeit ins Familienleben eingriff oder umgekehrt.

Dabei wurden die Partnerinnen und Partner einzeln befragt. Zu diesem Fazit kommen die Autorinnen: Es sind die stabilen und unhinterfragten Gewohnheiten sowie die Rollenbilder, die Paare weiter daran hindern, die Kluft zwischen dem Selbstverständnis und ihrem Verhalten zu verringern.

Es zeigte sich, dass – obwohl fast alle Personen Vollzeit arbeiteten – eben doch bei einigen die Frauen deutlich mehr machten. Ein Teil der Befragten erwies sich laut der Autorinnen als „realitätsblind“: Während sie ihr Selbstverständnis als Paar als egalitär beschrieben, also als auf Gleichheit ausgerichtet, sah der Alltag anders aus: Die Partnerinnen organisierten die gesamte Kinderbetreuung überwiegend allein. Einige berichteten, stets zur Stelle zu sein, wenn mit den Kindern irgendetwas war. Sie kämen gar nicht auf die Idee, den Partner zu fragen oder nach anderen Lösungen zu suchen, sondern sagten: „Es gibt keine Alternative“. Ein kleinerer Teil der Paare gab an, die Arbeit bewusst nach dem traditionellen Verständnis, oft von den Eltern übermittelt, aufzuteilen und sich so zu verhalten.

Gibt es wirklich keine andere Lösung?

So berichtete eine der Frauen, sich so zu verhalten, wie ihre Mutter es ihr gesagt hatte: „Wenn es dem Kind nicht gut geht, braucht es die Mutter“. Eine andere Frau sagte: „Ich weiß, es klingt schrecklich. Aber wenn meine Tochter krank ist, möchte ich, dass sie bei meiner Mutter ist.“ Aus diesem Grund frage sie, wie sie erklärte, im konkreten Fall auch ihre Mutter und nicht ihren Partner. Die Wissenschaftlerinnen kommentieren, dass diese mit den traditionellen Rollen verbundenen Vorstellungen jedoch zu Gefühlen geringerer Kompetenz bei den Männern führten, denen bei der Kinderbetreuung die Routine fehlte. Dieser Mangel wurde dann interpretiert als ein Nicht-Können, das quasi naturgegeben sei.

Schließlich gab es da die alt bekannte „Gender-Kompetenz-Falle“: Die befragten Frauen nahmen beispielsweise die Planung und Auswahl der Aktivitäten der Kinder allein in die Hand und managten das. Ihren Partnern war das vermutlich recht und sie sagten: „Sie weiß, was sie will“ oder „Sie ist einfach besser darin“. Dass hier vermutlich eher traditionelle Rollenbilder am Werk waren, sahen sie nicht, sondern glaubten auch hier, es handele sich um Fähigkeiten, die die Frauen von Natur aus besaßen. Unterm Strich so die Autorinnen, seien es diese festen und nicht hinterfragten Gewohnheiten, die die Kluft zwischen dem Selbstverständnis und dem alltäglichen Handeln der Personen aufrechthielten.

Sich ständig miteinander absprechen hilft

Nur bei einem Teil der Paare fanden die Forschenden, dass das, was sie über sich sagten mit dem übereinstimmte, wie sie den Alltag organisierten. Diese Paare, die sich als egalitär betrachteten und so lebten, berichteten von regelmäßiger Kommunikation und von häufigen Absprachen, wer am nächsten Tag was wann machen würde. Und zwar nicht nur einmal kurz am Abend, sondern immer wieder tagsüber. So war beiden Partnerinnen stets bewusst, was gerade die Verpflichtungen der anderen waren, ob der Partner gerade unter Druck stand oder was sie oder ihn beschäftigte. Diejenigen Paare, die sich bei den alltäglichen Aufgaben, etwa dem Abholen der Kinder oder der morgendlichen Routine vor der Kita und Schule, einfach abwechselten, also beide involviert waren, erreichten allein dadurch ein gemeinsames Verständnis dafür und das erhöhte auch das Gefühl von Fairness.

Die Teilnehmenden notierten über vier Wochen täglich in Online-Tagebüchern und füllten Rating-Skalen aus, ebenso beantworteten sie offene Fragen. Dabei beschrieben die Befragten alltägliche Entscheidungen, also etwa, wer für ein erkranktes Kind von der Arbeit fernblieb, wer die Kinder abholte oder nach Feierabend Zeit mit ihnen verbrachte. Die Wissenschaftlerinnen erfassten auch, wie diese Entscheidungen zustande kammen, also, ob die Befragten regelmäßig mit ihren Partnerinnen über die alltäglich anstehenden Fragen sprachen oder ob sie aus Gewohnheit schnell und intuitiv entschieden, ohne dies in Frage zu stellen.

Laura Radcliffe u. a.: Work-family habits? Exploring the persistence of traditional work-family dicision making in dual-earner couples. Journal of Vocational Behavior, 2023. dOI: 10.1016/j.jvb.2023.103914

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