Hohe Leistung und Einfluss auf andere zugleich, das kann im Arbeitsleben eine brisante Mischung sein. Sie hat eine Schattenseite, der zwei Psychologinnen und zwei Psychologen in einer Studie auf den Grund gehen: Bei sehr leistungsfähigen und zugleich einflussreichen Angestellten und Führungskräften fanden sie, dass sie psychologisches Anspruchsdenken entwickelten (psychological entitlement), das heißt, sie erwarteten, für ihre größere Anstrengung viel zurückzubekommen, sei es in Form von Anerkennung, Würdigung oder Geld. Dieses Anspruchsdenken verringerte ihre Bereitschaft, Kolleginnen und Kollegen gegenüber entgegenkommend zu sein und sie bei Bedarf zu unterstützen.
Das Forschungsteam machte zunächst mit insgesamt 179 Befragten, die über eine Online-Plattform rekrutiert worden waren, ein Experiment: Die Frauen und Männer lösten eine Reihe von Anagramm-Aufgaben, bei denen aus einer Anzahl von Buchstaben möglichst viele vollständige Wörter gebildet werden. Anschließend gaben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Rückmeldung: Sie informierten darüber, wie gut oder schlecht die Probandinnen und Probanden im Vergleich zum Durchschnitt abgeschnitten hatten. Sodann wurde eine Gruppe der Untersuchten gebeten, eine Situation aus ihrem Leben zu beschreiben, in der sie entweder selbst Einfluss hatten, etwa im Beruf etwas zu bekommen, was andere nicht erhielten oder wie sie eine andere Person bewerten konnten. Die andere Gruppe schilderte die gegenteilige Situation, eine Lage, in der sie einer anderen Person ausgeliefert oder von deren Bewertung abhängig waren. Sie sollten dann diese authentischen Schilderungen bewerten und berichten, wie sie sich dabei gefühlt hatten.
Anspruchsdenken macht unhöflich
Schließlich erhoben die Forscherinnen und Forscher noch, inwieweit die Befragten selbst von unhöflichen Verhalten berichteten oder sie Kolleginnen und Kollegen nicht unterstützt hatten. Überdies beantworteten 157 Angestellte sowie 29 Vorgesetzte aus zwei US-Universitäten eine Reihe von wissenschaftlichen Fragebögen über ihre Leistung, ihren Einfluss auf andere sowie ihr Anspruchsdenken und eine Reihe von Vergleichsvariablen wie Stolz oder Durchsetzungsvermögen.
Das Ergebnis: Hohe Leistung allein fördert nicht unbedingt das schädliche Anspruchsdenken. Kommen aber Leistung und Einfluss auf andere gemeinsam daher, scheint das tatsächlich keine gute Mischung zu sein. Diese Befragten hatten höhere Erwartungen an das, was sie zurückbekommen wollten und waren weniger bereit, Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen.
Zu hohe Erwartungen
Wie die Autorinnen und Autoren betonen, liege der Schwerpunkt dieser Studie auf der Frage, wie Individuen auf ihre eigenen Leistungen reagieren. Wir nutzen oft unsere Leistungen, um herauszufinden, ob wir in der Zukunft erfolgreich sein werden. Haben Menschen im Berufsleben eine einflussreiche Position, haben sie auch mehr Möglichkeiten, ihre eigenen Leistungen zu kommunizieren und neigten stärker als andere dazu, sie allein auf eigene Anstrengung zurückzuführen. Aus alldem leiteten sie dann ab, dass ihnen auch mehr Anerkennung, mehr Ressourcen und mehr Geld zustehe als anderen. Und sie verzichteten als Folge dieses Denkens darauf, andere zu unterstützen. Die High Performer unter den Mitarbeitenden in den Unternehmen gelten als wichtig, schreibt das Forschungsteam. Wenn Leistungsbereite eine einflussreiche Position bekämen, könnten sie Erwartungen entwickeln, die nicht mit der Sicht der Organisation übereinstimmten. Mit der Studie wollen die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass psychologisches Anspruchsdenken nicht nur eine Eigenschaft ist, die manche haben und andere nicht, sondern unter bestimmten Umständen auch erst entstehen könne.
Brian D. Webster u. a.: Powerful, high-performing employees and psychological entitlement: The detrimental effects on citizenship behaviors. Journal of Vocational Behavior, 136, 2022. DOI: 10.1016/j.jvb.2022.103725