Immer mehr Unternehmen und Organisationen setzen auf ethische Verhaltenskodizes. Aber ob sich Mitarbeiter dadurch tatsächlich ethischer verhalten, hängt nicht nur von den Inhalten dieser Richtlinien, sondern auch von der Sprache ab und zwar anders als man erwarten könnte: Verhaltenskodizes, in denen die Sprache Nähe, Toleranz und Warmherzigkeit suggeriert, verstärken eher Unehrlichkeit. Der Grund: Wir neigen in diesem Fall dazu anzunehmen, dass diese Toleranz und Warmherzigkeit geringere Strafen oder sogar gar keine Strafen nach sich ziehen könnten – was die Wahrscheinlichkeit für unethisches Verhalten erhöht. Dies stellten Psychologen in zehn einzelnen Studien fest, in denen sie verschiedene Methoden einsetzten.
Gelegenheit zu schummeln wurde genutzt
Dabei rekrutierten sie Teilnehmer, die sie als „Mitarbeiter“ des Forschungslabors einsetzten und stellten ihnen verschiedene Aufgaben. Alle Probanden erhielten Gelegenheiten zu schummeln oder sollten über ihre eigenen Leistungen berichten. Eine Gruppe las vorab einen Verhaltenskodex in einer Nähe und Toleranz suggerierenden Sprache, eine andere erhielt den gleichen Kodex, der in einer distanzierteren Sprache verfasst war. Eine dritte Gruppe schließlich wurde gar nicht gebrieft. Dabei nutzten die Psychologen selbst verfasste und echte Kodizes aus Unternehmen. Durchweg fanden sie bestätigt, dass die Freiwilligen im Kontext einer warmherzigen und toleranten Sprache in stärkeren Ausmaß die Gelegenheit zu betrügen nutzten oder ihre eigenen Leistungen verzerrt darstellen, also sie in ihrem Bericht besser machten, also sie tatsächlich waren.
„Wir“ drückt Nähe aus
Wann suggeriert Sprache, dass unethisches Verhalten leichter oder mit geringeren Strafen „durchgehen“ würde? Wenn sie Großzügigkeit und Toleranz ausdrückt und das tut sie offenbar, wenn wir mit „wir“ oder „uns“ angesprochen werden. Es ist, wie die Autoren schreiben, eine Sprache, die wir eher im Zusammenhang mit Freunden, Partnern oder der Familie verwenden. Damit geht, wie die Studien zeigen, die Erwartung einher, dass unerwünschtes oder schädliches Verhalten weniger hart bestraft wird. Das Gegenstück dazu ist die Sprache, die Distanz herstellt: „Von allen Mitarbeitern wird erwartet“ oder „Im Verhaltenskodex des Unternehmens wird davor gewarnt, das Internet für persönliche Zwecke zu nutzen“. Das verleitet dazu zu denken, eine mögliche Strafe könnte recht hart ausfallen. Distanzierter formulierte Verhaltensregeln haben somit wohl eine abschreckende Wirkung.
Maryam Kouchaki u. a.: The ethical perils of personal, communal relations: A language perspective. Psychological Science, 30/12, 2019. DOI: 10.1177/0956797619882917