Sandra Schumacher erzählt:
Ein Freitagmorgen im Dezember, ich machte nichtsahnend meine Schlafzimmertür auf: überall Flaschen, Gläser mit Kippen, Essensreste, Erbrochenes. Am Schockierendsten aber war, dass ich mich nicht erinnern konnte, überhaupt gefeiert zu haben – und mit wem. Mir wurde schlecht, stundenlang saß ich zitternd in der Küche.
„Filmrisse“ hatte ich regelmäßig gehabt, aber diese Verwüstung übertraf alles. Ich dachte an einen Bekannten, der alkoholisiert in einem Hinterhof gestorben war, andere hatten jemand überfahren. Der Gedanke, dass mir etwas Ähnliches passieren könnte, versetzte mich in Todesangst.
Seit ich 14, 15 war, hatte Alkohol mir erlaubt, die Frau zu sein, die ich sein wollte: locker, schlagfertig, selbstbewusst. Ich hatte studiert, wohnte in einer schönen Altbauwohnung und gehörte in der Firma zu den Top-Performerinnen. Wie sollte ich ohne Alkohol mit meiner Unsicherheit klarkommen? Aber jetzt fühlte ich mich so hilflos, dass ein Treffen der Anonymen Alkoholiker als einziger Ausweg erschien.
Ich sah dort Menschen auf Sofas Tee trinken. Sie sahen vollkommen normal aus. Als der Erste anfing zu erzählen, musste ich weinen, denn ich hätte jedes Wort unterschreiben können.
Die Anonymen Alkoholiker nahmen mich schnell unter ihre Fittiche. Anfangs ging ich fast jeden Abend zu einem Treffen, um beschäftigt zu sein. Es war hart. Ich entfernte mich von vielen Freundinnen und Freunden und wechselte den Job. Aber als ich anderthalb Jahre später mit meinem jetzigen Mann zusammenkam, ohne Alkohol, merkte ich: Es gibt einen Weg!
Sandra Schumacher ist seit fast 20 Jahren trocken. Sie arbeitet als Coach in Hamburg.