„Unattraktive haben Nachteile.“

Hässlichkeit fällt mehr ins Gewicht als Attraktivität. Manfred Hassebrauck erklärt, warum die Geschichte der Schönheit umgeschrieben werden muss.

Die Illustration zeigt den Sozialpsychologen und Autor Manfred Hassebrauck.
Manfred Hassebrauck ist Sozialpsychologe und Autor. Ihn stört, dass unattraktive Menschen Nachteile haben. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Jährlich unterziehen sich Millionen von Menschen weltweit Schönheitsoperationen. Noch mehr Menschen investieren Zeit und Geld in weniger drastische Maßnahmen, die dem Ziel dienen, das eigene Aussehen zu verbessern. Auf den ersten Blick scheint das Geld gut investiert, denn schöne Menschen haben es anscheinend in den unterschiedlichsten Lebensbereichen leichter als weniger schöne: im Berufsleben, sogar wenn sie mit der Justiz in Kontakt kommen und natürlich auch beim Dating.

Nur die Schönsten überleben lautet denn auch der provokante Titel eines Buches über Schönheit von Nancy Etcoff. Kein Wunder, dass die meisten Menschen sehr um ihr Aussehen besorgt sind und versuchen, möglichst schön zu sein. Ich frage mich allerdings, ob es sich wirklich um Vorteile für Schöne oder nicht eher um Nachteile für weniger Attraktive handelt.

Einen Hinweis darauf, dass Hässlichkeit bedeutsamer als Schönheit ist, liefern die Beurteilungen, wie schön jemand ist. Unterschiedliche Betrachterinnen und Betrachter stimmen nämlich meist nicht so gut darin überein, ob jemand schön ist. Hingegen sind sich die Befragten bei den wenig attraktiven Personen sehr wohl einig. Menschen haben ein viel klareres Verständnis von Hässlichkeit als von Schönheit.

Verbindung zu Krankheit

Hässlichkeit wird vor allem mit Merkmalen, die mit mangelnder Gesundheit zu tun haben, in Verbindung gebracht. Die Probanden in einer meiner Studien zu dieser Frage nannten Merkmale wie „Pickel“, „dick“, „dürr“, „schlechte Zähne“, „deformiert“. Das Spektrum der Merkmale, die mit der Schönheit in Verbindung gebracht werden, ist viel breiter und unspezifischer – angefangen vom „gepflegten Aussehen“, über einen „knackigen Po“ bis hin zum „freundlichen Lächeln“.

Das menschliche Wahrnehmungssystem scheint geradezu spezialisiert darauf zu sein, Hässlichkeit zu erkennen. Wir haben ein besseres Gedächtnis für Unattraktive als für Hübsche. Wenig schöne Gesichter – egal ob von Mann oder Frau – werden besser und schneller wiedererkannt als mittel­mäßig oder sehr attraktive Gesichter. Hässliche Gesichter fallen uns auch in Gruppen von Menschen eher auf als schöne. Warum? Vermutlich weil es in unserer evolutionären Vergangenheit wichtig war, Kranke (und damit oft auch physisch wenig Attraktive) zu meiden.

Geschichte der Schönheit umschreiben

Daraus folgt: Diejenigen, die meinen, es lohne sich ohnehin nicht, etwas am eigenen Aussehen zu machen, würden davon am stärksten profitieren. Der Schritt von drei zu fünf auf einer fiktiven zehnstufigen Traummann-Skala ist erheblich wirkungsvoller als der von sieben zu neun. Und er ist auch leichter zu vollziehen. Ein Gang zum Friseur, etwas abspecken, all das lässt relativ schnell weniger Attraktive mittelmäßig attraktiv werden – und das reicht völlig aus.

Meiner Meinung nach muss daher die Geschichte der Schönheit umgeschrieben werden. Nicht der Schöne ist gut, wie es die griechische Dichterin Sappho vor mehr als 2600 Jahren ausgedrückt hat, sondern das Gegenteil trifft zu: ugly is bad.

Manfred Hassebrauck ist Sozialpsychologe, Autor und war von 2000 bis 2019 Professor an der Bergischen Universität Wuppertal.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2021: Egoisten
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