Was machen Menschen eigentlich, wenn sie zu vielen anderen Abstand halten müssen: Gehen sie anderen Tätigkeiten nach als normalerweise, konzentrieren sie sich mehr auf das, was Ihnen wichtig erscheint und beeinflusst das ihre Stimmung? Psychologinnen und Psychologen stellten in einer kleinen Studie fest: Wenn die Teilnehmer sich während Zeiten der Isolation stärker Aktivitäten widmeten, die ihnen wichtig waren, erlebten sie wie erwartet seltener negative, aber auch – unerwartet – seltener positive Affekte. Sinnvolle Tätigkeiten dämpften quasi eine stärkere Affektivität, also das Erleben heftiger Emotionen, ob positiv oder negativ. Machten Teilnehmerinnen während des Abstandhaltens einfach mehr als vorher, versuchten sie sich also durch möglichst viele Beschäftigungen abzulenken, verstärkte das ihre Affektivität, sie erlebten also stärkere positive und negative Emotionen.
Gefühle und unsere innere Balance
Offenbar, so erklären die Psychologinnen das Resultat, bewirke stärkerer „Aktivismus“ die verstärkte Affektivität, weil uns starke Gefühle alarmieren und darauf aufmerksam machen, dass wir seelisch aus dem Gleichgewicht geraten könnten – was dazu veranlasse, unsere Aktivitäten herunterzufahren, um zu einer Balance zurückzufinden. Die bedeutsamen und als sinnvoll empfundenen Aktivitäten bewirkten wahrscheinlich, dass wir in unserem normalen seelischen Gleichgewicht bleiben (und nicht das Gefühl haben, unser Verhalten ändern zu müssen). So lasse sich erklären, dass die sinnvollen Beschäftigungen nach den Angaben der Befragten nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Gefühle dämpften. Anscheinend hätten die als sinnvoll empfundenen Tätigkeiten eine homöostatische Funktion.
Dieser Frage, wie sich Tätigkeiten in der Isolation auswirkten, gingen Psychologinnen und Psychologen erstmals nach. Sie testeten dabei auch zwei neue Fragebögen. In einem erhoben sie, wie es sich auswirkte, wenn wichtige Beschäftigungen reduziert werden musste. In dem anderen erfragten die Forscherinnen, ob die Teilnehmerinnen in der Lockdownzeit mehr positive oder mehr negative Affekte hatten als davor. Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zudem umfassend befragt, auch ihren Persönlichkeitseigenschaften, etwa Extraversion oder Introversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit und fragten danach, wie sich ihre Stimmung während der Zeit der Distanzierung im Vergleich zu vorher veränderte.
Zudem fragten die Forscherinnen ein breites Spektrum an Tätigkeiten ab und erfassten, wie viele Stunden die Befragten damit zubrachten, jeweils vor und während der sozialen Isolation: soziale Kontakte on- und offline, Bewegung und Sport, sich um Kinder kümmern, Haushalt und Putzen, fernsehen, streamen und Musikhören. Offenbar, so schlussfolgern die Autoren, dämpfe es die Stärke unserer Affekte, wenn wir Tätigkeiten nachgehen, die für uns sinnvoll sind, aber eben nicht nur der negativen, sondern auch der positiven.
Soziale Isolierung könnte unser seelisches Gleichgewicht bedrohen, weil uns wichtige Aktivitäten, wie etwa Freunde und Bekannte zu sehen, genommen werden und wir dann dazu neigen, uns mit Aktivismus abzulenken – was uns aus der Balance bringen kann.
Daniel B. Cohen u. a.: Increased meaningful activity while social distancing dampens affectivity; mere busyness heightens it: Implications for wellbeing during COVID-19. PLOS one, 2020. DOI: 10.1371/journal.pone.0244631