Mit Vorurteilen brechen

[U25] versucht altmodische Klischees zu überwinden, um insbesondere suizidgefährdete Jugendliche anzusprechen.

Guten Tag, Frau Ulrich. Sie sind Mitarbeiterin einer Organisation, die sich für Suizidprävention einsetzt. Wie entstand die „[U25] Deutschland“-Initiative und welche Hilfsangebote bietet sie?

[U25] ist eine Online-Beratungsstelle für suizidgefährdete Jugendliche unter 25 Jahren. Alle unsere Berater*innen sind ehrenamtlich ausgebildete „peers“ (Gleichaltrige). Die Beratung erfolgt kostenlos und anonym!

Suizid ist unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahren eine der häufigsten Todesursachen. Im Jahr 2001 machte sich der Arbeitskreis Leben (AKL) in Freiburg Gedanken darüber, wie man diese jungen Menschen erreichen kann, da sie die klassischen Beratungsangebote kaum in Anspruch nahmen.

Unter dem Arbeitstitel „U25“ wurden daraufhin die Idee entwickelt, sich mehr an der aktuellen Lebenswelt und den Bedürfnissen der Jugendlichen zu orientieren – online, anonym und auf Augenhöhe durch den Austausch mit Gleichaltrigen. Mittlerweile gibt es das Projekt an 10 Standorten in ganz Deutschland, mit mehr als 200 ehrenamtlichen peer-Berater*innen. Jährlich nehmen etwa 1400 Ratsuchende das Angebot wahr.

Wie kamen Sie selbst zu [U25] Deutschland?

Ich bin bei [U25] in einer besonderen Rolle. Ich bin seit Ende 2016 Peer-Beraterin, sowie seit Ende letzten Jahres für die Öffentlichkeitsarbeit bei [U25] zuständig. Bevor ich bei [U25] die Ausbildung zur Beraterin angefangen habe, habe ich mich schon länger nach Projekten umgesehen, in denen ich die Möglichkeit habe, anderen Menschen bei Problemen beizustehen.

Denn ich habe durch meine eigenen Krisen und Probleme im Jugendalter die Erfahrung gemacht, dass es oft nicht leicht ist, diese ohne die richtige Unterstützung zu bewältigen. Besonders im jungen Alter fällt es einem oft nicht leicht mit neuen Problemen oder Krisen umzugehen oder sich sogar Hilfe zu holen.

Auch viele andere Peers bei [U25] haben in ihrem Leben schon Krisen oder große Probleme erlebt und bewältigt. Dies hilft oft dabei ein Verständnis für die Hilfesuchenden zu entwickeln. Durch einen Freund, der ebenfalls Peer-Berater bei [U25] ist, bin ich dann auf das Projekt aufmerksam geworden und seitdem schon über 3 Jahre ehrenamtlich in der Beratung tätig. Vor kurzem bin ich dann zusätzlich dem Hauptamtlichen-Team von [U25]-Berlin beigetreten und unterstütze sie in der Öffentlichkeitsarbeit.

Welche aktuellen Projekte verfolgt [U25] Deutschland und wo sehen Sie Chancen und Herausforderungen in den kommenden Jahren?

[U25] Deutschland arbeitet schon lange an einem neuen Projekt namens [AUSWEG]LOS. Das Angebot richtet sich an junge Menschen in Schulen und anderen Jungendinstitutionen. Denn leider ist Suizid immer noch ein Tabu-Thema, über das zu wenig in der Öffentlichkeit und vor allem in der Schule gesprochen wird. Im Rahmen der [AUSWEG]LOS-Workshops sollen junge Menschen und Lehrer für die Themen Krisen und Suizidalität sensibilisiert werden.

Die Teilnehmenden werden ermutigt, auf sich und ihre Mitmenschen zu achten und Hilfebedarf zu äußern. Außerdem stehen Interaktionen zur Stärkung der Persönlichkeit und zur Förderung des Wohlbefindens im Mittelpunkt. Die Herausforderung besteht darin, dass Projekt weiter auszubauen, vermehrt in Schulen anzubieten und eine zukünftige Finanzierung für das Projekt zu sichern. Eine weitere Herausforderung ist das Erreichen der männlichen Zielgruppe unter 25 Jahren.

Sowohl die Anzahl der männlichen Peer-Berater als auch die der männlichen Ratsuchenden in der Beratung ist sehr gering. Wir hoffen im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit zunehmend die jungen Männer erreichen zu können und mit altmodischen Vorurteilen brechen zu können. Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche!

Welche Peer-Betreuung (anonymisiert), die Sie selbst tätigten oder von der Sie gehört haben, hat Ihnen besonders Mut gemacht, dass Reden über Suizidgedanken hilft?

Ehrlich gesagt, gibt es für mich nicht die eine Peer-Beratung, welche Mut macht. Jede Anfrage an uns finde ich sehr mutig. Es erfordert viel Kraft sich einzugestehen, dass man alleine nicht weiterkommt und Hilfe in Anspruch nimmt.

Eine Klientin, die ich über 2 Jahre betreut habe, hatte niemanden, mit dem sie über ihre Suizidgedanken sprechen konnte. Sie war schon einmal in einer Klinik und wollte dort nie wieder hin. Auch einen Therapieplatz zu kriegen ist in Deutschland leider nicht so einfach und die Eltern zeigten kein Verständnis, sondern sagten ihr nur, dass sie sich ‚zusammenreißen‘ solle.

Anfangs war sie sehr überfordert mit der Situation, hat sich im Laufe der Zeit und vielen kleinen Zwischenschritten jedoch selbst aus ihrem Tief gekämpft und letztendlich sogar den Mut aufgebracht, sich bei einer Offline-Beratung weitere Unterstützung zu suchen. Ich habe in meiner Zeit als Peer-Beraterin die Erfahrung gemacht, dass viele der Ratsuchenden unglaublich dankbar waren, dass sie endlich einen Ort gefunden haben, an dem sie frei über alles reden können.

Viele haben Angst, dass sie verurteilt werden, wenn sie es Freunden oder der Familie erzählen. Sie haben Angst, dass sie für ‚verrückt‘ gehalten und ‚weggesperrt‘ werden. Viele Hilfesuchenden sind dann unheimlich dankbar, wenn sie merken, dass sie ernst genommen werden und jemand für sie da ist! Als Beraterin bin ich unglaublich stolz auf alle bisherigen Mail-Kontakte und den Lebenswillen der Ratsuchenden, die trotz aller Erlebnisse versuchen, weiter zu kämpfen und sich uns öffnen.

Jasmin Ulrich ist seit 2016 Peer-Beraterin und und seit 2019 Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit von [U25] Deutschland.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2020: Wer bin ich noch?
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