Das Alter kann kommen

Psychologie nach Zahlen: Fünf wünschenswerte persönliche Entwicklungen, die die Zukunft für uns bereithält.

Die Illustration zeigt einen fröhlichen alten Mann auf einem Skateboard inmitten einer Zukunftsszenerie
Gesund und gar nicht so hilflos: Die Zukunftsaussichten fürs Alter sind deutlich positiver, als manche glauben © Till Hafenbrak

In einem Moment visionärer Eingebung hat der Wissenschaftler Robert Boyle in die Zukunft geschaut und eine Liste der kommenden Errungenschaften der Menschheit erstellt. Das war in England vor rund 350 Jahren. Wie sich herausstellte, lag der Visionär oft überraschend richtig. Das künstliche Erhalten der Jugend und die Lebensverlängerung standen ganz oben auf Boyles Liste, ebenso das Fliegen. So weitreichende Vorhersagen wie Boyle bieten heutige Wissenschaftler zwar nicht, aber was uns in unserer persönlichen Zukunft einfach dadurch erwartet, dass wir älter werden, das lässt sich recht gut vorhersagen. Eine Reihe von Studien erlaubt Einblicke, wie sich unser (Seelen-)Leben in den nächsten Jahren entfalten könnte. Diese Zukunftsaussichten sind deutlich positiver, als manche glauben mögen.

1 Auch allein glücklich

Die meisten ewig Alleinstehenden unter uns werden zufriedener mit ihrem Singleleben sein. Das legen Angaben des Deutschen Alterssurvey nahe. Die Informationen stammen von knapp 6200 Menschen im Alter von 40 bis 85 Jahren und zeigen: Enge Freundschaften und ein aktiver Lebensstil können die soziale Nähe und Erfüllung bieten, die sich der Einzelne wünscht. Ebenso werden sich in den kommenden Jahren einige Kopfzerbrechen der Singles in Wohlgefallen auflösen. Etwa im Falle von Alleinerziehenden: Sie werden weniger Zeit und Energie für ihre Kinder aufbringen müssen, da diese mit den Jahren selbständiger werden – das bedeutet weniger Sorgen und mehr Zeit für sich selbst. „Auch das Schwinden des sozialen Stigmas, das früher mit einem Singledasein verbunden war, ermöglicht es Singles, ihr Leben stärker zu genießen“, schreiben Anne Böger und Oliver Huxhold von dem Deutschen Zentrum für Altersfragen in Berlin. Die Emanzipationsbewegung und der Wandel der Geschlechtsrollen haben unsere Wahrnehmung von romantischen Partnerschaften in den letzten 50 Jahren stark verändert – und werden Singles künftig noch mehr dazu ermuntern, ihr Glück nicht zwangsläufig in Partnerschaften, sondern in sich selbst zu finden.

Anne Böger, Oliver Huxhold: The changing rela­tionship between partnership status and loneliness: Effects related to aging and historical time. The Journals of Gerontology, Series B, Psychological Sciences and Social Sciences, 2018. DOI: 10.1093/geronb/gby153

2 Mir selbst immer mehr wert

Gehen Sie auf das 60. Lebensjahr zu? Dann bekommt ihr Selbstbewusstsein gerade einen Extraschub. Denn so selbstsicher wie zwischen 60 und 70 Jahren ist der Mensch zu keinem anderen Zeitpunkt seines Lebens. Das entdeckte ein Forscherteam an der Universität Bern. Die Wissenschaftler um Ulrich Orth analysierten 331 Studien aus den vier letzten Jahrzehnten mit insgesamt 165000 Teilnehmern. Die jüngsten waren vier, die ältesten über 90 Jahre alt. Wie sich herausstellte, scheint der Mensch mit fortschreitendem Alter generell selbstsicherer zu werden. Auch jenseits der 70 und sogar bis zum 90. Lebensjahr büßen die meisten von uns nur wenig Selbstbewusstsein ein.

Ulrich Orth, Ruth Yasemin Erol, Eva Luciano: Development of self-esteem from age 4 to 94 years: A meta-analysis of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 2018. DOI: 10.1037/bul0000161

3 Gesünder, da glücklicher

Glückliche Momente werden unser Wohlbefinden stärker fördern als heute. Das fanden Forscher an der Chinesischen Universität in Hongkong in einer Studie mit knapp 250 Probanden heraus. Rund die Hälfte von ihnen waren Studenten, die andere Hälfte ältere Erwachsene im Durchschnittsalter von 64 Jahren. Besonders die älteren Teilnehmer gaben an, dass sie sich dank der Glücksgefühle in ihrem Alltag wohl, gesund und gut fühlten. Die Autoren Natalie Wong, Xianmin Gong und Helene Fung meinen dazu: „Die zwei Altersgruppen verfolgen ihr Glück auf unterschiedliche Weise.“ So jagten jüngere Menschen dem Glück eher allein hinterher. Dagegen suchten ältere Personen es in sozialen Aktivitäten und engem Austausch mit ihren Mitmenschen. Dieses glückliche Eingebundensein habe positive Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden.

Natalie Wong, Xianmin Gong, Helene Fung: Does valuing happiness enhance subjective well-being? Journal of Happiness Studies, 2019. DOI: 10.1007/s10902-018-00068-5

4 Als Greis gar nicht so hilflos

Weniger selbständig, angewiesen auf die Hilfe und den guten Willen unserer Mitmenschen: So lautet das gängige Vorurteil gegenüber dem Älterwerden. Dass die Hilflosigkeit der Alten überschätzt wird, zeigte ein Forscherteam an der University of Chicago. Louise Hawkley, Gregory Norman und Zia Agha befragten 3000 Menschen zwischen 30 und 89 Jahren. Die jüngeren Teilnehmer sollten einschätzen, wie viel Hilfe sie im Alter brauchen werden – sei es finanzielle Unterstützung oder auch Hilfe bei alltäglichen Aufgaben. Die älteren Probanden gaben an, wie viel dieser Unterstützung sie in ihrem Alltag tatsächlich in Anspruch nahmen. So kam zum Vorschein: Die Alten waren deutlich unabhängiger, als es die Jungen erwarteten.

Louise Hawkley, Gregory Norman, Zia Agha: Aging expectations and attitudes: Associations with types of older adult contact. Research on Aging, 2019. DOI: 10.1177/0164027518824291

5 Das gute alte Ich geblieben

Wird sich unser Charakter in den nächsten zehn Jahren stark ändern? Die Antwort liefert eine große US-Studie. Analysiert wurden unter anderem die Selbstbeschreibungen der Teilnehmer als Jugendliche im Alter von 16 und fünfzig Jahre später. Die meisten Personen waren selbst nach diesem halben Jahrhundert nicht auffällig anders – nur reifer. Das äußerte sich in ihrem Verhalten und Innenleben. „Generell wird jeder ein wenig gewissenhafter, emotionell stabiler und netter, unabhängig vom Geschlecht“, fassen die Forscher um Rodica Damian zusammen. Aber alles in allem verändert sich die Persönlichkeit meist nicht dramatisch im Laufe eines Lebens. Bei all den Veränderungen werden wir im Kern der alte Adam und die alte Eva bleiben.

Rodica Ioana Damian, Brent Roberts u.a.: Sixteen going on sixty-six: A longitudinal study of personality stability and change across 50 years. Journal of Personality and Social Psychology, 2018. DOI: 10.1037/pspp0000210

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2019: Passiv-Aggressiv
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