Gegen die Ohnmacht bei Long-Covid

Spezifisch wirksame Medikamente gibt es für Long-Covid-Betroffene noch nicht. Die Pacing-Methode kann helfen, den Alltag im richtigen Tempo zu meistern.

Ein Bücherstapel mit den Büchern, die in Ausgabe 2/2025 vorgestellt werden
Das ist der Bücherstapel der Rezensionen aus der Februarausgabe 2025. © Psychologie Heute

Sie haben oft einen qualvollen Leidensweg hinter sich: Patientinnen und Patienten, die an postviraler myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) oder Long Covid erkrankt sind. Einer Krankheit, die erst jetzt durch die mittlerweile rund fünf Millionen nach einer Coronainfektion Erkrankten Aufmerksamkeit erhält – in der Medizin, der Forschung und den Medien. Dabei geht man bei beiden Erkrankungen von einer hohen Dunkelziffer aus, weil viele Patientinnen und Patienten Fehldiagnosen oder gar keine Diagnose erhalten oder auf eine Psychotherapie verwiesen werden.

Bei ME/CFS- und Long-Covid-Patientinnen kommen so zur körperlichen Erkrankung häufig noch Rat- und Hoffnungslosigkeit hinzu. Andrea Brackmann und Katharina Jänicke, die Autorinnen des Selbsthilfebuchs Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern, haben diese Erfahrung als Betroffene selbst über Jahre hin gemacht.

Jahre, in denen Katharina Jänicke die „Pacing-Methode“ entwickelt hat. Pacing – aus dem Englischen übersetzt etwa „sich selbst das richtige Tempo vorgeben“ – ist keine heilende Therapie, sondern eine Technik, mithilfe derer Patienten lernen können, „eigenständig mit ihrer begrenzten Energie und anderen Symptomen der Erkrankung um­zugehen“.

Um Selbstwirksamkeit zu eröffnen

Das Buch ist auf die Praxis konzentriert: Einem kurzen Überblick über die Symptome bei Long Covid und ME/CFS sowie den Forschungsstand folgt eine präzise Schritt-für-Schritt Erläuterung, wie Pacing helfen kann, die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen, zu akzeptieren und zur Orientierung in der eigenen Lebenspraxis zu machen. Dabei unterschlagen die Autorinnen nicht, dass dazu Ausdauer, ein geduldiger Umgang mit Rückschlägen und die oft mühevolle Akzeptanz der eigenen Grenzen gehören und dass es gilt, Trauer, Wut und Aggression anzunehmen.

Gleichzeitig ist jeder ihrer umsichtig vermittelten Selbsthilfeschritte einleuch­tend: Das Symptomtagebuch macht deutlich, wie energetisch komplex jede unserer Tätigkeiten ist. Die „Symptomampel“ und das Aktivitätsprotokoll lassen ahnen, wie diffizil das Zusammenspiel von Tätigkeiten – dazu gehören auch Denken, Lesen, Schauen – und autonomem Nervensystem organisiert ist.

Kundig und zugleich zurückhaltend versprechen die Autorinnen keine Wunder, sondern ermutigen die Erkrankten, sich konsequent selbst ernst und wahrzunehmen. Praxisnah und einfühlsam sind auch ihre Ideen zur mentalen Krankheitsbewältigung und seelischen Stärkung.

Ausgelöst durch die Selbsttötung einer 28-jährigen Long-Covid-Patientin, trafen sich im Mai des letzten Jahres 8000 Long-Covid- und ME/CFS-Kranke mit Angehörigen, Ärztinnen und Forschern zu einer Internetkonferenz. Eine der Forderungen dort war, Betroffene als Expertinnen für ihre Krankheit zu sehen, denn genau das seien sie. Von dieser Expertise zeugt auch das Pacing-Selbsthilfebuch der beiden Autorinnen, das, zumal solange es keine wirksame Medikation gibt, immerhin Wege zur Linderung der Symptome und – gegen die Ohnmacht – zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit eröffnet.

Andrea Brackmann, Katharina Jänicke: Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern. Das Pacing-Selbsthilfebuch. Klett-Cotta 2024, 168 S., € 17,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2025: Stürmische Zeiten - stabiles Ich
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