Haben Menschen, die erblindet sind oder von Geburt an blind waren, eine bessere Körperwahrnehmung? Ein psychologisches Experiment, bei dem 36 nichtsehende und 36 sehende Personen miteinander verglichen wurden, ergab: Die nichtsehenden waren besser darin, den eigenen Puls zu zählen. Beide Gruppen unterschieden sich jedoch nicht darin, wie sie die eigene Zählleistung einschätzten: Weder hielten die nichtsehenden Teilnehmenden ihre Zählung für präziser, noch hatten sie ein größeres Vertrauen in die eigene Leistung.
Alle füllten zunächst zwei Fragebögen aus, in denen sie angaben, wie sehr sie körperliche Vorgänge wahrnahmen, ob diese ihre Aufmerksamkeit beeinflussten und wie stark sie sich ihres eigenen Körpers bewusst waren. Anschließend nahmen alle in einem bequemen Sessel Platz. An einem Finger wurde ein Pulsmessgerät befestigt. Zugleich wurde ihnen mitgeteilt, dass sie ihren Herzschlag so lange einfach im Kopf mitzählen sollten, bis die Versuchsleitung sie bitten werde, damit aufzuhören. Die selbstermittelte Zahl wurde dann mit der technischen Aufzeichnung des Pulsschlags verglichen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass der Unterschied beim Pulszählen mit der visuellen Deprivation zusammenhängt, also dem dauerhaften Mangel an Seherfahrung. Er führe im Lauf der Zeit zu einer neuroplastischen Veränderung der Seh-Areale im Gehirn, dies wiederum verstärke offenbar die neuronalen Kapazitäten der übrigen Sinne.
Quelle
Dominika Radziun u.a.: Heartbeat counting accuracy is enhanced in blind individuals. Journal of Experimental Psychology: General, 2023. DOI: 10.1037/xge0001366