„Wahlfreiheit gibt es nur für Begüterte.“

Oft muss man lange auf Therapieplätze warten. Heilpraktikerinnen bieten hier eine schnellere Alternative, für die man jedoch selbst aufkommen muss.

Die Illustration zeigt die Heilpraktikerin, für Psychotherapie, Nicole Schricker, die stört, dass es bei Psychotherapien nur Wahlfreiheit für Begüterte gibt
Nicole Schricker ist Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie stört, dass es bei Psychotherapien nur Wahlfreiheit für Begüterte gibt. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Zuletzt wurden immer wieder Stimmen laut, die den Beruf der Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen für Psychotherapie abschaffen wollen und raten, sich nur an appro­bierte Psychotherapeuten zu wenden (siehe diese Rubrik in Heft 7/2022). Ich bin der Meinung: Heilpraktikerinnen für Psychotherapie sind unverzichtbar!

Wer Psychotherapie benötigt, muss sich oft auf eine frustrierend lange Suche nach einem Therapieplatz einstellen. Und falls sich in einem zumutbaren Umkreis überhaupt einer findet, wartet man je nach Region bis zu sechs Monate oder länger auf regelmäßige Termine. In einer Situation, in der dringende Hilfe gebraucht wird, ist das eine Zumutung. Heilpraktiker für Psychotherapie fangen genau diese Menschen auf und sorgen für die wichtige zeitnahe und kompetente Unterstützung.

Durch den Mangel an freien Plätzen sind manche Menschen fast gezwungen, zu einer verfügbaren Psychotherapeutin zu gehen, egal ob die Chemie stimmt oder nicht. Dabei ist bekannter­maßen einer der entscheidenden Wirk­faktoren die vertrauensvolle therapeutische Beziehung. Und diese entsteht nun mal nicht durch Psychologiestudium und Approbation, sondern durch andere Faktoren wie ein empathisches und fachlich gut ausgebildetes Gegenüber. Das lässt sich in beiden Berufsgruppen finden!

Qualitätskontrolle durch Klienten

Ich bin durchaus der Ansicht, dass für die Zulassung zur Psychotherapie ein verbindliches Curriculum eingeführt werden sollte für alle, die den Beruf praktizieren wollen. Allerdings besteht auch jetzt schon kaum jemand die Heilpraktikerüberprüfung beim Gesundheitsamt, ohne vorher eine qualifizierte Aus- und Weiterbildung absolviert zu haben.

Viele Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen für Psychotherapie haben Vorbildung oder ein Studium im psychologischen oder pädagogischen Bereich und entscheiden sich dazu, ein Therapieverfahren zu erlernen, das nicht von den Krankenkassen übernommen wird. Dadurch entsteht ein vielfältiges Spektrum an Methoden, was die Möglichkeiten für Klientinnen, eine individuell passende Therapie zu finden, erweitert.

Kritisiert wird immer wieder die qua­litative Bandbreite in der freien Psychotherapie. Doch diese findet sich ebenso bei approbierten Therapeutinnen. Die Qualitätskontrolle leisten Klienten im Bereich der Selbstzahlenden überwiegend selbst: Da die Kosten für ihre Therapie meist nicht erstattet werden, überprüfen sie genau, ob ihnen diese hilft oder nicht. Im Kassensystem passiert das zu selten, und ein Wechsel gestaltet sich meist schwierig.

Bevor undifferenziert eine Abschaffung von Heilpraktikerinnen für Psychotherapie gefordert wird, sollte also vielmehr anerkannt werden, dass sie mit über 10 Millionen Klientinnenkontakten jährlich für die psychotherapeutische und präventive Versorgung in Deutschland unverzichtbar sind. Skandalös ist, dass echte Wahlfreiheit in Bezug auf Therapeutinnen und Therapieverfahren nur den Menschen zur Verfügung steht, die es sich finanziell leisten können. Das Gesundheitssystem spart dadurch jährlich viele Millionen Euro. Es besteht dringender Handlungsbedarf im Interesse psychisch erkrankter Menschen!

Nicole Schricker ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und arbeitet in freier Praxis in Lenggries in Bayern

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2022: Nein sagen lernen
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