Über drei Milliarden Fotos und andere Bilder werden tagtäglich rund um den Globus geteilt. Dieser Bilderflut können wir zwar kaum noch entkommen – aber wir können gezielt nach jenen Bildern suchen, die den Alltagsstress mildern und gut für das psychische Wohlbefinden sind. Dazu gehören laut Forschenden Schwarz-Weiß-Fotografien, Gemälde und auch Comics.
1 Schwarz-Weiß-Fotos
Schwarz-Weiß-Fotografien setzen sich aus Grauwertabstufungen zusammen. An den Enden dieses Spektrums stehen Schwarz und Weiß. Im Gegensatz zu diesen unbunten Kompositionen fügt jeder Farbton dem Bild ein zusätzliches Element hinzu, das die Betrachter vom eigentlichen Motiv ablenken kann. Durch die Begrenzung der Farben auf Schwarz-Weiß müssen sich Beobachtende mit weniger Bildelementen auseinandersetzen – was das Gefühl der Intensität deutlich verstärkt.
Neuroforschungsteams stellten außerdem fest, dass das Gehirn Farbfotografien anders verarbeitet als Schwarz-Weiß-Fotos. In einer europäischen Studie untersuchten Forschende um Felix Wichmann das Zusammenspiel von Farbe und Gedächtnis. Ihre Freiwilligen behielten farbige Fotografien besser im Gedächtnis als die Schwarz-Weiß-Bilder, unabhängig davon, wie lange sie die Bilder gesehen hatten.
Die Farben der Bilder scheinen ein wichtiger Bestandteil beim Abspeichern und Erinnern zu sein – wohl auch deshalb, so die Forschenden, weil die Farbfotos realitätsnäher wirken. Schwarz-Weiß-Fotografien muten nicht so lebensecht an. Gerade diese Realitätsferne kann jedoch unter Umständen anziehender und interessanter sein als die aus dem Leben gegriffenen bunten Bilder.
Dass die Distanz zu dem Dargestellten auf Schwarz-Weiß-Fotos von Vorteil sein kann, legt auch ein Experiment aus den USA nahe. Die Teilnehmenden betrachteten appetitliche Bilder aus einer Aufklärungsbroschüre über Hygiene in der Küche, auf denen verfaulende Lebensmittel zu sehen waren. Wurden sie den Betrachtenden in Farbe gezeigt, waren diese deutlich angeekelt. Aber als Schwarz-Weiß-Fotografien fanden sie sogar Anklang. Manchen der Betrachterinnen und Betrachter galten sie jetzt sogar als Kunst. So kann uns das bewusste Weglassen von Farben eine neue, ungewohnte und interessante Begegnung mit unserer Umwelt ermöglichen.
2 Comics
Im Gegensatz zu Fotos besitzen Comics laut Forschenden eine „visuelle Sprache“. Hier interagieren Bild und Text, so dass eine Erzählung entsteht. Gerade in der Entstehungszeit von Comics ging es in diesen Geschichten meistens um Superhelden. Protagonisten wie Superman und Captain America wurden in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges populär. Damals verkörperten diese Figuren vor allem Hoffnung und Freiheit.
Doch die visuellen Darstellungen der Superhelden üben auch heute eine starke Wirkung auf uns aus – selbst auf jene Menschen, die gar keine Comicfans sind. In einer amerikanischen Studie entnahmen Daryl Van Tongeren und sein Team einzelne Bilder aus Superheldencomics. Einem Teil ihrer Freiwilligen zeigten sie unter einem Vorwand diese Comiczeichnungen, während die Kontrollgruppe Bilder von einem Fahrrad sah. Bei Ersteren gab es daraufhin eine deutlich höhere Bereitschaft, ihren Mitmenschen zu helfen.
Die gezeichneten Bilder mögen für viele zwar weniger ästhetisch sein als etwa Fotografien, sie üben dennoch positiven Einfluss auf uns aus, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. So kann ein kleines Bild eines Comichelden oder einer Superheldin – vielleicht über dem Schreibtisch im Büro – wohl tatsächlich einen Motivationsschub bewirken.
Auch manche Psychologen und Psychologinnen machen sich die Wirkung der Comics zunutze und setzen sie für therapeutische Zwecke ein, etwa um auf diesem Umweg Zugang zu schwerwiegenden Erfahrungen in der Vergangenheit zu finden und darüber zu sprechen. Mithilfe der sogenannten Comicspedia-Datenbank, die der amerikanische Psychologe Patrick O’Connor erstellt hat, können nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch erwachsene Neulinge in der Welt der Comics jene Bildergeschichten finden, die sich mit schmerzhaften oder traumatischen Erfahrungen auseinandersetzen, etwa mit Themen wie Trauer und Verlust.
3 Gemälde
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es ein starkes Interesse an der beruhigenden und erholsamen Wirkung bildender Kunst auf die Betrachtenden. So schrieb der französische Maler Henri Matisse im Jahr 1908 über seine eigenen Landschaftsgemälde: „Ich träume von einer Kunst des inneren Gleichgewichts, die einen besänftigenden, wohltuenden Einfluss auf den Geist haben könnte, so etwas wie ein gemütlicher Sessel, der Erholung von körperlicher Ermüdung bietet.“
Zahlreiche seiner Zeitgenossen sahen dies jedoch bald anders, und die damalige Kunst vereinte zahlreiche höchst unterschiedliche Stile. Einige von ihnen stark abstrakt, andere gar verstörend. Was den Betrachterinnen und Betrachtern bis heute Freude daran macht? Vielleicht ist es das Grübeln über die jeweilige Absicht der Künstler und Künstlerinnen – selbst wenn wir sie nicht erraten und auch nie erfahren, ob wir richtig liegen.
Und wer schon einmal in Galerien frustriert gedacht hat: „Das hätte genauso gut ein Kind malen können!“, der kann mithilfe einer amerikanischen Studie womöglich neuen Zugang zur abstrakten Kunst finden: In der Untersuchung von Ellen Winner sollten Freiwillige, die keine Fachkenntnisse von Kunst besaßen, expressionistische Kunstwerke von jenen Bildern unterscheiden, die Kinder oder Menschenaffen gemalt hatten. Die Teilnehmenden waren sehr gut darin, Kunst von Kritzelei zu unterscheiden.
Also gingen die Forschenden einen Schritt weiter: Sie versuchten, ihre Freiwilligen auszutricksen, und gaben unter anderem fälschlicherweise an, die Kritzeleien seien Werke von Profis. Selbst dann ließen sich die Probanden und Probandinnen kaum irreführen und legten ein erstaunlich gutes Gespür dafür an den Tag, hinter welchen Sujets sich tatsächlich das Können eines Künstlers oder einer Künstlerin verbarg. Es scheint, dass wir ein intuitives Verständnis für überdachte und nur vermeintlich willkürliche Bildkompositionen in uns tragen – und das Sinnieren über diese Kompositionen tut uns im Alltag immer wieder gut, wie Winner mit ihren Studien nahelegt.
Zum Weiterlesen
Ellen Winner: How Art Works. A Psychological Exploration. Oxford University Press, New York 2018