„Ich hätte schwören können, dass das Handy geklingelt hat!“ Hat es aber nicht. Solche Sinnestäuschungen kennen viele, und manchen machen sie Angst. Sie fragen sich, ob die akustische Halluzination das Anzeichen einer ernsten Erkrankung ist. Meist ist die Befürchtung unbegründet: Studien zufolge bilden sich rund 13 Prozent aller Menschen sogar immer wieder Stimmen oder andere Geräusche ein. Aber nur ein Prozent leidet tatsächlich an Schizophrenie. In den meisten Fällen seien akustische Halluzinationen also harmlos, schreiben Albert Powers und seine Kollegen von der Yale University. Aber wie entstehen sie?
Dieser Frage sind die Forscher in einem Experiment nachgegangen. Sie zeigten ihren Versuchspersonen wiederholt dieselben Bilder. Diese Bilder wurden immer wieder von denselben Geräuschen begleitet. Bereits nach einigen Runden hörten einige Probanden den entsprechenden Ton, sobald sie ein Bild sahen – selbst wenn die Forscher in diesem Durchgang gar kein Geräusch abspielten.
Permanente Prognosen des Gehirns
„Konditionierte Halluzination“ nennen die Forscher das Phänomen. Das Gehirn lernt, dass eine bestimmte Situation von einem bestimmten Geräusch begleitet wird – und rechnet mit diesem Geräusch, sobald die Situation eintritt. Deshalb hören einige das „Hallo!“ des Partners, wenn sie abends nach Hause kommen, obwohl dieser gerade auf Geschäftsreise ist.
„Konditionierte Halluzinationen unterscheiden sich von krankhaften Halluzinationen auch dadurch, dass sie auf die Aktivitäten verschiedener Gehirnregionen zurückgehen“, stellten Powers und seine Kollegen mithilfe eines Hirnscanners fest. Den Forschern liefern solche Halluzinationen Aufschlüsse über die Funktionsweise des Gehirns. Das menschliche Denkorgan sei kein passiver Beobachter seiner Umwelt, sondern erstelle permanent Prognosen. Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Forschung dazu beiträgt, auch die Halluzinationen von Schizophreniekranken besser zu verstehen.
Quelle
Albert R. Power u.a.: Guided by Voices: Hallucinations and the Psychosis Spectrum. Biological Psychiatry. 2018. DOI: 10.1016/j.biopsych.2018.07.015