Warum sind Frauenkörper so, wie sie sind? Warum menstruieren die Frauen und leben länger als Männer? Solchen Fragen auf den Grund gehend, schaut Cat Bohannon 200 Millionen Jahre zurück – und findet überraschende Antworten bei den Säugetier-Ahninnen.
Nach ihrer Metaanalyse der entsprechenden Studien ist das Erfolgsrezept von Homo sapiens nicht seine Findigkeit beim Erstellen von Werkzeugen, sondern die Überlebensfähigkeit seiner Mütter. Bohannon ordnet Merkmale wie Milchbildung, Menstruation oder Menopause als Meilensteine in der Geschichte der Weiblichkeit ein.
Ältere Frauen bieten viel Weisheit
Auch das Thema Gehirn untersucht sie unter diesem Vorzeichen. Männer und Frauen hätten zwar prinzipiell kein unterschiedliches, doch das weibliche sei aufgrund seiner spezifischen Aufgaben für das Überleben der Spezies in vielerlei Hinsicht anpassungsfähiger. Sie betont, Frauen seien zwar anfälliger für Depressionen und Ängste, aber dreimal seltener suizidgefährdet. Vielleicht auch, weil sie mehr als Männer spürten, dass sie gebraucht würden. Eine Besonderheit allerdings gibt es doch: Bei Frauen finde im letzten Schwangerschaftsdrittel ähnlich wie in der Pubertät eine tiefgreifende Umstrukturierung des Gehirns statt. Die Autorin vermutet, es sei die Vorbereitung auf eine intensive Lebensphase, in der die Frauen dafür sorgen müssten, mitsamt ihren „außergewöhnlich bedürftigen Neugeborenen“ zu überleben.
Der Mensch gehört zu den wenigen Gattungen, die eine Menopause kennen. Die Evolutionsforschung erklärt das gern damit, dass ältere Frauen als Großmütter bei der Aufzucht des Nachwuchses nützlich sind. Bohannon stellt diese „Großmutterhypothese“ infrage. Aus ihrer Sicht liegt der Wert der Alten in ihrer Weisheit und nicht in der kostenlosen Kinderbetreuung. In Notzeiten wüssten sie nicht nur, was vor zehn, sondern auch noch was vor vierzig Jahren geholfen hat.
Warum nur männliche Mäuse?
Körperliche und emotionale Errungenschaften durch die Brille der Mütter zu betrachten ist ein ungewohnter Ansatz. Die fachübergreifend arbeitende Literaturwissenschaftlerin Bohannon entdeckte durch ihre Promotion über die Evolution des Denkens und Geschichtenerzählens, dass der Frauenkörper in den Biowissenschaften kaum vorkam. Schuld an diesem blinden Fleck sei weder böser Wille noch Sexismus, schreibt sie, sondern „US-amerikanische Vorschriften für klinische Studien aus den 1970ern, die dringend davon abrieten, weibliche Versuchspersonen im gebärfähigen Alter heranzuziehen“. Das Ergebnis: „Von der Maus bis zum Menschen ist es der männliche Körper, der im Labor untersucht wird.“ Ein Organismus ohne Menstruation lässt sich einfacher beforschen. Dies sei einerseits nachvollziehbar, habe jedoch andererseits zu einer einseitig „männlichen Norm“ geführt und gängige Stereotype wie das des „zarten Geschlechts“ gefüttert.
Gründe genug, sich in das Thema zu vertiefen oder, wie die Autorin selbstbewusst formuliert, eine „wahrere Geschichte der Weiblichkeit“ zu schreiben. 2023 erschien Eve in den USA und wurde mehrfach ausgezeichnet, so avancierte das Buch unter anderem zum New York Times-Bestseller. Nun liegt es auch auf Deutsch vor. Ein mitreißend geschriebener, faszinierender Beitrag zu der Evolutionsgeschichte der Menschheit.
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Cat Bohannon: Eva. Das Wunder des weiblichen Körpers – und wie er seit 200 Millionen Jahren die Entwicklung des Lebens auf der Erde vorantreibt. Aus dem Amerikanischen von Rita Gravert, Christina Hackenberg, Ursula Held, Sigrid Schmid. C. Bertelsmann 2024, 767 S., € 30,–