Dass die Natur, wie einst die Moderne versprach, gänzlich entzaubert werden könne, ist bekanntlich nichts anderes als eine Idealisierung des zivilisatorisch-technischen Fortschritts der Moderne. Das Magische, Metaphysische und Auratische wurde vor und wird auch in der Moderne in und an der Natur erfahren; es findet seinen Ausdruck nicht nur in der nature art und dem nature travelling oder nature writing unserer Tage, sondern seit langem auch in den New-Age-Bewegungen oder der Homöopathie.
Die Zumutungen, die die Moderne gerade durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt dem Einzelnen auferlegt, sind einfach zu groß, als dass der moderne Mensch auf ein Refugium des Heilen und Heiligen, kurz des Göttlichen in einer entgötterten Welt hätte verzichten können.
Die grausam-zornige Umwelt
Das ändert sich in Zeiten des längst nicht mehr aufhaltbaren Klimawandels. Denn nun zeigt die entzauberte Natur ihre unbeherrschbare Seite. Indem sie sich den Steuerungsfantasien moderner Gesellschaften entzieht und mit Erderwärmung, Sintfluten, Artensterben und in der Folge Klimakriegen droht, wird sie wie in vormodernen Zeiten noch einmal zur apokalyptisch-dämonischen Gewalt. Das Göttliche, das sie sich auch in der aufgeklärten Moderne bewahrt hatte – im Zeichen der Klimakrise wird es zum Diabolisch-Dämonischen.
Doch verantwortlich dafür, dass die Erderwärmung nicht mehr aufzuhalten ist, obwohl sie aufzuhalten (gewesen) wäre, und Natur nun als grausam-zornige, sich für all die an ihr im Namen des zivilisatorischen Fortschritts begangenen Untaten rächende Schicksalsmacht erscheint, ist ein Kontrollverlust, für den die (Welt-)Gesellschaft verantwortlich ist.
Die Sozialwissenschaften verbuchen diese Kontrollverlusterfahrung lakonisch unter dem Begriff der Komplexitätsfolgen: Moderne Gesellschaften sind einfach zu komplex, als dass sie sich noch mit einer der eigenen Einsicht geschuldeten „großen Geste“ (Armin Nassehi) selbst steuern könnten.
Klimaohnmacht und Hilflosigkeit
Die psychologische Praxis erhebt Einspruch gegen einen solchen Fatalismus. Sie ist nicht bereit, die Ohnmacht gegenüber dem eigenen Begehren als Schicksal hinzunehmen, erkennt vielmehr in der Erfahrung von Ohnmacht und Hilflosigkeit eines der Leitsymptome vieler seelischer Erkrankungen – und weiß aus täglicher Erfahrung, dass selbstzerstörerisches Begehren steuer- und veränderbar ist.
Dass dies bislang nur für Einzelne und Kleingruppen in einem psychotherapeutischen Setting, nicht aber für Großgruppen, wie es Gesellschaften sind, gilt, sollte niemanden dazu verleiten, Gesellschaften geheimnisvolle, unberechenbare Kräfte zuzuschreiben. Im Gegenteil, es sollte Mut machen, deren unbewusste Dynamiken zu erforschen, um endlich ihre Fähigkeiten der Selbststeuerung auf einen Stand zu bringen, der dem ihres wissenschaftlich-technischen Fortschritts entspricht.
Christian Kohlross ist habilitierter Kulturwissenschaftler und arbeitet tiefenpsychologisch und systemisch als Einzel- und Paartherapeut in Berlin.