„Viele suchen spirituelles Fastfood“

Matthias Pöhlmann ärgert sich über unsere Sucht nach spirituell-emotionaler Dauererhitzung und unsere Leichtgläubigkeit.

Die Illustration zeigt den Theologen Matthias Pöhlmann, der meint, dass viele spirituelles Fastfood suchen
Matthias Pöhlmann ist Theologe, Kirchenrat und Lehrbeauftragter für Religionswissenschaft und -geschichte an der LMU München. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Wir leben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit. Inmitten einer von soziologischer Sei­te diagnostizierten transzendentalen Obdachlosigkeit brechen sich alte wie neue irrationale Weltdeutungen Bahn. Zweifellos führen Säkularisierungsprozesse zum Schwinden von Religiosität und Kirchenzugehörigkeit. Gleichzeitig ist die Suche nach Sinn ungebrochen. Sie verschafft sich in einer Patchwork-Religiosität selbstbewusst Ausdruck. Vielen der spirituellen Zeitgenossen ist der Begriff „Religiosität“ ohnehin verdächtig, steht er doch – so die weitverbreitete Auffassung – für verkopfte, dogmatische, den Einzelnen entmündigende Kirchendoktrin.

Die Offerte Spiritualität kommt dabei besonders anschmiegsam daher. Viele verbinden diese biegsame Edelvokabel mit Individualität, Hochgefühlen und – voll im Trend – einem ­Buddha-Style, einhergehend mit einer kräftigen Prise Entschleunigung und Achtsamkeit, besonders im Blick auf sich selbst. Life Coaches beschwören Selbstoptimierung und Erfolg. Wenn die Wirtschaft schon schwächelt, muss die Innenwelt des Menschen von Blockaden gelöst und leistungsstark gemacht werden. Der spirituelle Tanz um das eigene Ich setzt immer neue Energien frei und vernebelt den Blick auf menschliche Grenzen, Krankheit und Tod.

Esoterik: Wissenschaft wird als Betrug gesehen

Besonderer Resonanz erfreuen sich verschiedene Styles einer neuen, angeblich unbelasteten und individualisierten Spiritualität. Als Alltagsphänomen und Krisensymptom ist besonders die Esoterik das Feld von Personen, die ich „spirituelle Überwisser“ nenne. Diese berufen sich auf einen höheren Erkenntnisanspruch, der jeder Wissenschaft überlegen sei: Es sei ein Wissen, das nur den Erleuchteten, Sensitiven, Sensiblen zugänglich sei. Das wissenschaftsbasierte angebliche Scheinwissen wird abgelehnt und als Täuschung diskreditiert.

Wie eng die Esoterik und Verschwörungsmythen verknüpft sind, hat sich nicht zuletzt mit der Coronapandemie gezeigt. Aus verschwörungsesoterischer Sicht geht es fast immer gegen den „Mainstream“: gegen die Rationalität, gegen die Medien, die Politik und – natürlich – gegen die Kirchen. Die Misstrauensgemeinschaft verschafft sich lauthals Ausdruck: Kein Wunder, wenn auf Demos Esoteriker und Esoterikerinnen neben Antidemokraten zu sehen waren!

Wegbereiter in rechtsoffene Welten

Besonders beliebt ist das Organisationen-Bashing: Alles, was irgendwie organisiert ist, wirkt ohnehin verdächtig. Und immer wieder lese und höre ich sie, die wenig freundlich vorgetragenen Vorwürfe: Wie kann ein Theologe, ein Kirchenmann sich zu solchen Fragen äußern? Er ist doch parteiisch und Vertreter einer christlichen Institution, die jede Legitimation, sich öffentlich und noch dazu kritisch zu äußern, verloren hat. Religiös-weltanschauliche, rational-kritische Diskurse werden damit im Keim erstickt.

Klar ist: Inmitten des irrationalen Hypes suchen Menschen weiterhin nach einfachen Antworten, nach spirituellem Fastfood. Die Folgen sind absehbar: ein Abrutschen in irrationale, auch rechts­offene Sonderwelten, gesellschaftliche Spaltung, permanente Selbstüberforderung und die Sucht nach spirituell-emotionaler Dauererhitzung.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2023: Alles fühlen, was da ist
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