Frau Streeck, haben Sie etwas gegen die Palliativmedizin und die Hospizbewegung?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Es ist eine große Errungenschaft, dass der Tod aus den Hinterzimmern geholt wurde. Aber in der Palliativ- und Hospizbewegung wird ein Sterbe-Ideal vertreten, das auch Schattenseiten hat.
Wie stirbt man denn heute?
Die meisten Menschen erwartet eine mehr oder minder lange Phase schwerer Krankheit oder zunehmender Gebrechlichkeit, bevor sie sterben. Sie erleben eine Phase der Todesnähe, in der bereits absehbar ist, dass der Tod bald bevorsteht, etwa weil es keine Heilung für eine Krankheit gibt oder jemand sehr alt und gebrechlich ist.
Hat sich im Lauf der Zeit verändert, wie Menschen damit umgehen?
Ganz sicher. Jahrhundertelang begleiteten den Sterbeprozess religiöse Rituale, die uns heute weitgehend abhandengekommen sind. Vor allem im vergangenen Jahrhundert herrschte dann die Auffassung vor, man solle im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung alle medizinisch-technischen Möglichkeiten ausnutzen: auf der Intensivstation, beatmet, künstlich ernährt. Heute ist das für viele Menschen ein Horrorszenario – man lässt sie nicht sterben. Davon kommt man nun immer mehr ab. Inzwischen geht es eher in die Richtung: Wir zögern das Lebensende nicht mehr so lange hinaus, wie es geht, sondern ermöglichen einen anderen Tod als den Tod an Schläuchen, den viele so fürchten.
Welchen denn?
Der Dichter Rainer Maria Rilke hat Anfang des 20. Jahrhunderts einen berühmt gewordenen Vers verfasst: „O Herr, gib jedem seinen eignen Tod. Das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not.“ Rilke wendete sich dagegen, Sterbende in den Hinterzimmern der Krankenhäuser zu verstecken, wie es damals üblich war. In den 1960er Jahren entstand die moderne Hospiz- und Palliativbewegung, die eine Vernachlässigung von Sterbenden beklagte. Sie entwickelte eine Vorstellung vom guten Sterben, die an Rilkes Rede vom eigenen Tod erinnert: Man wollte Menschen ermöglichen, so zu sterben, wie es ihnen entspricht. So dass sie im Einklang mit sich selbst sein und bis zum Lebensende authentisch bleiben können.
Hat das funktioniert?
Zunächst mal ist es ein schönes Ziel: dazu beizutragen, dass jemand von seiner letzten Lebensphase sagen kann: Ja, darin kommt zum Ausdruck, wer ich bin und wie ich mich verstehe – es ist mein „eigener Tod“. Es wird dann problematisch, wenn die Person das Gefühl bekommt, sie müsse ein bestimmtes Ideal erfüllen, müsse im Einklang mit sich sterben – wenn sich die Vorstellung vom guten Sterben also in eine Norm verkehrt.
Das vollständige Interview mit Nina Streeck lesen Sie in unserem aktuellen Themenheft der Reihe Psychologie Heute compact: Trauer und Verlust: Was wir verlieren – Wie wir trauern – Was uns tröstet