Die Zehnjährige lernt für die nächste Klassenarbeit, und die Note muss sehr gut sein: Leistung. Die nächste Deadline sitzt einem im Nacken, und der Text muss großartig werden: Leistung. Der Paketbote hetzt durch die Stadt, um bis 18 Uhr seine verordnete Tour zu schaffen: Leistung. Und dabei ist klar: Die anderen bekommen mit, was wir wann und wie geschafft haben. Wir leben in einer Gesellschaft der Leistung(sbesten), einer „Meritokratie“.
Allerdings, so stellt die Kölner Historikerin Nina Verheyen klar: Leistung existiert nicht per se, sondern es sind unsere subjektiven Bewertungen und Zuschreibungen, die Handlungen zu einer Leistung machen. Sobald diese einmal als solche zugeschrieben worden sei, werde sie „real und mächtig“, schreibt Verheyen in ihrem Buch Die Erfindung der Leistung. Jede Leistung sei eine Frage der Perspektive.
Viele von uns nehmen an, Leistung sei eine feste Größe, die aus individuellen Fähigkeiten resultiere, eine Größe „individueller Kraftanstrengung“, die sich wie in der Physik objektiv messen, linear steigern und auf Einzelpersonen zurückführen lasse. Doch Verheyen weist darauf hin, dass sich dieses moderne Leistungsverständnis maßgeblich erst im 19. Jahrhundert herauskristallisierte.
Was wir heute unter Leistung und persönlichem Erfolg verstehen, tue uns nicht gut, zu diesem Schluss kommt der Psychiater Gregor Hasler. Denn das vermeintlich objektive Leistungsverständnis schaffe sehr subjektive psychische Welten und habe „große psychosoziale Folgen“, wie Hasler es ausdrückt: Wettbewerbsorientierung, Individualismus und – oft unerreichbare – Ansprüche an sich selbst werden dadurch zunehmend wichtiger.
Statusdenken schwächt die Resilienz
Die Folge davon ist, dass die Aufwärtsvergleiche noch weiter zunehmen. Tatsächlich belegen Studien genau das: Menschen vergleichen sich „nach oben“ und strengen sich dann – weil sie mithalten wollen – immer mehr an, um das Geld für die nötigen Statussymbole zu verdienen. Damit können sie anderen zeigen, dass sie außergewöhnlich sind, etwas Besonderes. In diesem Versprechen, Status erlangen und erhalten zu können, liegt deshalb auch ein „Ich muss“. Denn leisten wir nach konventionellem Verständnis zu wenig, verlieren wir unseren Rang, halten nicht mehr mit und gelten weniger oder nichts.
„Unser offizieller Status, die durchschnittliche Bewertung unserer Leistungen durch andere, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Das belastet unsere Gesellschaft, weil Leistungs- und Statusdenken die Resilienz schwächen“, so Hasler. Folge: mehr gefühlter Stress, geringere mentale Leistungskraft, mehr psychische Störungen wie Depressionen.
Den vollständigen Beitrag über unsere problematische Fixierung auf Leistung finden Sie in unserem aktuellen Themenheft der Reihe Psychologie Heute compact: Vom Glück des Weniger: Zu viel Leistungsdruck, zu viel Konsum, zu viel im Internet: Wie wir runterschalten und erfüllter leben