Letzte Woche hatte ich Trennungsschmerz. Frau F. hat sich von mir verabschiedet. Besser gesagt: Aus unserem therapeutischen Prozess. Frau F. ist eine Patientin, die wohl die meisten schnell ins Herz schließen würden. Jung, talentiert, klug, reflektiert, sozial. Mit herausfordernder Vergangenheit und leuchtender Zukunft. Die vergangenen Wochen habe ich mich immer auf unsere Sitzungen gefreut. Die Gespräche gingen tief, fühlten sich für beide Seiten bedeutsam an. Wir erarbeiteten verschiedene innere Anteile. Gingen mit ihrer inneren Kritikerin ins Gespräch. Es gab Tränen, Lachen, Erkenntnisse.
Frau F. erscheint pünktlich wie immer zu unserem Einzelgespräch. Ich biete ihr eine Verlängerung des Aufenthalts um zwei Wochen an. Zur Stabilisierung der bisherigen Fortschritte. Frau F. lehnt ab: „Nein danke. Es fühlt sich nach einem guten Zeitpunkt an. Und ich freue mich jetzt wirklich auf meine ambulante Psychiaterin.“ Sie wolle nun auch nicht mehr über innere Anteile sprechen, sondern darüber, wie sie ihren Alltag besser strukturieren könne.
Aua! Blitzartig laufen in mir verschiedene Gedankenschleifen ab: War der Prozess gar nicht so hilfreich, wie gedacht? Habe ich Frau F. falsch eingeschätzt? Bin ich viel inkompetenter als die Psychiaterin? Oder ist das Vermeidungsverhalten, weil die Inhalte in der letzten Woche zu intensiv waren? Wieso macht mir das überhaupt so viel aus? Bin ich zu verstrickt?
„Durchatmen“, rede ich mir dann innerlich beruhigend zu, „Die Patientin ist Expertin ihres eigenen Lebens“. Ich glaube es mir zur Hälfte und lasse mich auf ihren Wunsch ein. Packe Arbeitsblätter aus. Aktivitätenlisten, Notfallstrategien bei Frühwarnzeichen der Depression. Wir erarbeiten, was an dem tagesklinischen Alltag so hilfreich war und überlegen, wie sie es in ihren Alltag übertragen kann. „Danke, das hat gutgetan“, sagt sie mir zum Ende der Stunde. „Gern“, antworte ich, schließe die Tür zu meinem Büro und bleibe zweifelnd zurück.
Ich spreche mit zwei anderen Psychologinnen darüber. „Ich frage mich, wieso sie gerade an diesem Punkt aus der Anteile-Arbeit rausgegangen ist.“, rätselt die eine. „Es ist wichtig, sie aufrichtig ziehen zu lassen, wenn sie das will“, rät die andere.
Im Laufe der folgenden Woche lassen meine selbstbezogenen Zweifel nach und meine Neugier nimmt zu. Das erlebe ich oft: Als junge, gerade beginnende Psychotherapeutin weiß ich noch nicht genau, wie hilfreich welche Fragen und Methoden sind. Ob sie zu mir passen und den Patientinnenauch nachhaltig nutzen. Im ersten Moment bin ich meistens bei mir. Im ersten Moment frage ich mich, was ich falsch gemacht habe. Erst wenn ich meinen Selbstwert beruhige, entsteht in mir die Neugier, wozu das Verhalten der Patientin wichtig gewesen sein könnte. Die genannte Patientin formulierte als eines ihrer Therapieziele etwa, ihre Bedürfnisse besser äußern zu können. So gesehen lässt sich ihr Wunsch für die Gestaltung der Sitzung als Erfolg von Frau F. bezeichnen. Deshalb ist Selbstfürsorge so wichtig für den therapeutischen Prozess: Denn erst, wenn ich eine gewisse innere Sicherheit habe, kann ich hinreichend neutral auf mein Gegenüber blicken.
In der Zwischenzeit bereite ich unsere Abschlusssitzung vor – wie von Frau F. gewünscht mit dem Fokus auf die Rückfallprophylaxe. Zu Beginn der Stunde melde ich gleichzeitig meine Ambivalenz zurück: „Letzte Stunde haben Sie zum ersten Mal ein Bedürfnis für unsere gemeinsame Stunde und ihre hiesige Behandlung geäußert. Das fand ich bemerkenswert, da Sie ja selbst das Ziel formuliert hatten, Ihre Bedürfnisse stärker zu äußern. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass Sie auch ein wenig mehr Distanz in unsere Arbeitsbeziehung bringen. Wie sehen Sie das?“. Es entstand ein aufschlussreiches Gespräch über die Zeit nach dem teilstationären Aufenthalt und die damit verbundene Angst. Frau F. fielen Abschiede schwer. Lieber ziehe sie sich selbst vorzeitig zurück, um die Kontrolle zu behalten. „Kenne ich“, denke ich. „Interessant“, sage ich und stelle eine Nachfrage. Und da ist es dann wieder, das tiefe Gespräch.
Transparenz-Hinweis:
Es gibt keine Therapeutin ohne Patientinnen – deshalb erzählt diese Kolumne von Menschen in der Psychiatrie. Da der Schutz der Behandelten an oberster Stelle steht, werden die Fallbeispiele bezüglich ihrer soziodemographischen und biografischen Daten stark verändert und erscheinen mit zeitlichem Abstand. Die berichteten Begegnungen bleiben in ihrem emotionalen Kern erhalten.