Als Angehörige einer Leistungsgesellschaft lassen wir einen elementaren Erfolgsfaktor außer Acht: das Glück. Darauf macht der Amerikaner Robert Frank in seinem Buch Ohne Glück kein Erfolg aufmerksam. Und da das Glück „seiner Natur nach zufällig“ ist, so Frank, werden die Fähigsten, Schlausten und Begabtesten unter uns nicht zwangsläufig auch die Erfolgreichsten.
Der Verfasser schärft das Bewusstsein für die Rolle des Glücks und des Zufalls nicht nur, um ein verzerrtes Verständnis von Leistung und Talent zu korrigieren. Er möchte auf diese Weise eine sozial gerechtere Gesellschaft fördern. Zunächst zeigt der Wirtschaftswissenschaftler von der Cornell University, dass jeder von uns zu der Fehlannahme neigt, Leistung führe zum großen Gelingen. Das untermauert der Autor mit vertrauten Konzepten aus der Psychologie, etwa dem Bestätigungsfehler, der Verfügbarkeitsheuristik und anderen kognitiven Verzerrungen. Leser, die Franks Buch aufschlagen, weil sie hoffen, von neuen, faszinierenden psychologischen Studien zu erfahren, werden eher enttäuscht.
Bedürfnis nach Sicherheit in einer chaotischen Welt
Der Autor glaubt, dass der Mensch auch deshalb den glücklichen Zufall ausblendet und lieber an die eigene Arbeit und Leistung glaubt, weil er mit Zufällen nicht umgehen kann – er braucht Sicherheit in einer chaotischen, ungewissen Welt. Und der Glaube, dass Anstrengungen und Mühen in Erfolg münden, spende ihm Halt und Sicherheit. Für psychologiebegeisterte Leser, die solche Erklärungen für krude und zu verallgemeinernd halten, ist Franks Lektüre dennoch lohnend. Unter anderem aufgrund seiner gelungenen Diskussion des Themas Dankbarkeit.
Der Verfasser zügelt nicht nur das stolze Ego so manch eines Lesers, der glaubt, seine Leistung sei der Grund für seinen gelungenen Werdegang. Er zeigt auch, dass unsere grundlegenden Denkweisen problematisch für die Gesellschaft werden können. Gerade Menschen in führenden Positionen – etwa im Vorstand internationaler Unternehmen – können mit ihrer Annahme des selbstverdienten Erfolgs die Gesellschaft negativ beeinflussen. Der Autor zitiert hier etwa Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen weniger sozial und großzügig handeln, wenn sie glauben, sie hätten sich alles selbst zu verdanken.
Verzerrte Wahrnehmung von Leistung
So liest sich Franks Buch wie ein kritischer Gesellschaftskommentar: „Die meritokratische Rhetorik scheint überdeckt zu haben, in welchem Ausmaß Erfolg und Scheitern oftmals ganz entscheidend von Ereignissen abhängen, die sich jeder individuellen Kontrolle entziehen.“ Doch Frank hat sein Buch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger geschrieben. Der Wissenschaftler verfährt auch kritisch mit seiner eigenen verzerrten Wahrnehmung von Leistung und Glück. Sein Buch ist gespickt mit persönlichen Anekdoten. Der Autor lässt nicht einmal den eigenen Herzstillstand auf dem Tennisplatz aus. Glück habe ihm das Leben gerettet: Es war zufällig ein Rettungswagen in der Nähe und musste nicht erst vom anderen Ende der Stadt anfahren.
Robert H. Frank: Ohne Glück kein Erfolg. Der Zufall und der Mythos der Leistungsgesellschaft. Aus dem Englischen von Katrin Harlaß. Dtv, München 2018, 220 S., € 20,–