Ideologien statt Methoden

Rezension des Buches „Die Gedanken sind nicht frei“ von Georg Steinmeyer.

Coaching boomt und hat längst alle Lebensbereiche erfasst. Mit seinen Interventionen soll der Coach seinem Klienten helfen, Probleme zu lösen und seine eigenen Ziele besser umzusetzen.

Auch Georg Steinmeyer hat seine Erfahrungen mit Coachings gemacht, und die weckten sein Interesse an einer tiefergehenden Untersuchung der dort eingesetzten Techniken und der dahinterstehenden Wertesysteme. In seinem Buch hat der Politologe drei derzeit weitverbreitete Coaching­techniken im Detail untersucht, Websites und Selbstzeugnisse von Coachs ausgewertet und Lehrbücher von Ausbildern studiert: zum neurolinguistischen Programmieren (NLP), zur positiven Psychologie und zur Methode The Work von Byron Katie.

Dabei analysiert der Autor vor allem zwei Aspekte: die Wissenschaftlichkeit des Ansatzes und die dahinterstehende Weltanschauung. Neurolinguistisches Programmieren klinge zwar wissenschaftlich, habe mit Wissenschaft aber so viel zu tun wie Captain Kirk mit Sir Isaac Newton, stellt der Psychologieprofessor und NLP-Kritiker Uwe Kanning treffend fest. Ideologischer Kern des NLP ist ein ausgeprägter Konstruktivismus: Verhalten und Können sind nicht Ausdruck einer einzigartigen und weitgehend stabilen Persönlichkeit, sondern ein beliebig veränderbares Produkt bestimmter Denkmuster.

In der Welt des NLP gibt es daher keine Opfer – es sei denn, sie machen sich selbst dazu. Das führt so weit, dass manche NLP-Vertreter Krankheiten als Produkte eigener Kognitionen betrachten. Auch esoterische Angebote wie die Re­inkarnationstherapie oder Karmareinigung tummeln sich unter dem NLP-Label.

Dagegen kommt die von Martin Seligman erfundene positive Psychologie als Fachrichtung der akademischen Psychologie seriöser daher. Ihre zentrale Grundannahme sei die „Behauptung der Programmierbarkeit von Optimismus beziehungsweise Machbarkeit von Glück“, so der Autor.

Doch auch hier sei Glück lediglich ein Mittel zum Zweck und diene dem maximalen ökonomischen Wachstum. Dazu passen die Aussagen von Bertelsmann-Personalmanager Nico Rose, der behauptet, nicht Freizeit, Urlaub oder der Feierabend förderten das Wohlbefinden. Das Glücksniveau der meisten sinke sogar, wenn die Arbeit ende. Solche positiven Illusionen lassen sich jedoch nur aufrechterhalten, wenn sie niemand hinterfragt. Entsprechend gereizt reagieren viele Vertreter auf jede Kritik. Der Klagenfurter Psychologieprofessor Philipp Mayring fasst es so zusammen: „Was an der positiven Psychologie so verstört, ist ihr Sendungsbewusstsein und ihr Ausschließlichkeitsanspruch.“

Richtig problematisch wird es bei manchen Lesarten des Konzepts vom „posttraumatischen Wachstum“, das einen positiven Zusammenhang zwischen der Anzahl erlittener Traumata und dem langfristigen Wohlbefinden einer Person postuliert. Je mehr ich erleide, desto glücklicher werde ich.

Da ist der Schritt zu The Work von Byron Katie nicht mehr weit. Dahinter steht die radikale Grundüberzeugung: So wie die Welt aktuell ist, ist sie immer in Ordnung. Krankheit, Folter, Terror und Missbrauch – alles ist gut. Das Problem ist einzig, dass wir das nicht akzeptieren. In den regelrecht inquisitorischen Sitzungen werden Missbrauchsopfer dann dazu gebracht, für sich den Satz „Ich freue mich darauf, missbraucht zu werden“ zu akzeptieren.

Auch The Work hat längst Einzug in zahlreiche Bildungseinrichtungen, Behörden und Unternehmen gehalten. An der Universität Mannheim wird die Methode im Bereich Pädagogische Psychologie unter der Bezeichnung IBSR (inquiry-based stress reduction) angeboten.

Steinmeyers Fazit ist vor allem gesellschaftspolitisch: Viele „Coachings basieren auf Wertesystemen, die esoterische, demokratiefeindliche, sozialdarwinistische, gewaltverharmlosende oder geschichtsrevisionistische Elemente enthalten“. Sie glichen daher eher ideologischen Schulungen, deren Grundlage das Bild des unbegrenzt optimierbaren Menschen sei, der sich selbst ständig „upgraded“, um möglichst effizient und marktmäßig verwertbar zu sein. Coachings erwiesen sich daher „als Instrument einer Entdemokratisierung des Denkens“. Das mag so manchem zu weit gehen.

Doch mit seinem Buch ist dem Autor eine schockierende Analyse gelungen, die zeigt, wie wenig wissenschaftlich und stark ideologisch viele Beratungsmethoden sind. Das dürfte kaum einem Coach und Klienten bewusst sein. Aufklärung tut daher dringend not.

Georg Steinmeyer: Die Gedanken sind nicht frei. Coaching: eine Kritik. Lukas, Berlin 2018, 284 S., € 19,80

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