Ätsch, Experimentator!

Psychologie nach Zahlen: Fünf zweifelhafte psychologische Erkenntnisse, die in Wiederholungsstudien keine Bestätigung fanden.

Inzwischen freuen sich forschende ­Psychologen schon über Selbstverständliches: dass sich Lehrbuchbefunde bei neuen Überprüfungen tatsächlich bestätigen. Das kommt vor und gelang erst jüngst bei einer Reihe von Lehrsätzen, von denen die meisten allerdings eher die Fachleute interessierten. Doch manche spektakulären Ergebnisse  –  hier eine Auswahl – stellten sich bei Wiederholungsversuchen eben nicht erneut ein. Solche „unwiederholbaren“ Erkenntnisse sind natürlich mit einem dicken Fragezeichen zu versehen. Zumindest bis auf weiteres, denn es könnte ja sein, dass sich auch das Dementi in einer Wiederholung des Wiederholungsexperiments nicht bestätigen lässt…

1 Pech, Glücksbringer!

Wer einen Talisman hat, dem gelingt manches besser – wenn vielleicht auch nur, weil er an die Wirkung des Glücksbringers glaubt. Das haben Lysann Damisch und Thomas Mussweiler von der Universität zu Köln 2010 demonstriert – aber möglicherweise bloß deshalb, weil sie selbst fest daran glaubten. Jedenfalls fand sich ihr Artikel vier Jahre später auf einer Liste von Studien mit zweifelhaften, weil statistisch unwahrscheinlich guten Ergebnissen wieder. Außerdem machte Robert Calin-Jageman von der Dominican University eines der Experimente möglichst genau nach. Die Probanden mussten im Labor kurze Golfschläge vorführen. Ungefähr die Hälfte bekam dafür einen angeblichen Glücksball. Damit beglückte Spieler trafen im ursprünglichen Experiment bei zehn Versuchen im Schnitt fast zweimal öfter als andere. Bei den Wiederholungen hatte der Glücksball dagegen keinen nachweisbaren Effekt. Insgesamt spricht derzeit nicht viel für die Talismane. Zumindest den Kölner Forschern haben sie kein Glück gebracht.

2 Einstein-Babys

Der Entwicklungspsychologe Andrew Meltzoff eilte eine Zeitlang immer wieder auf die Geburtsstation einer Klinik, um Neugeborenen die Zunge herauszustrecken. Das jüngste Versuchsbaby war gerade 42 Minuten alt. So wollte er herausfinden, ob die Winzlinge schon Verhalten nachahmen können. Und tatsächlich: Die Babys streckten ihm fleißig ihre kleinen Zungen entgegen. Süß, die Kleinen – fast wie Einstein auf dem berühmten Foto! Aber imitierten sie den Psychologen tatsächlich? Andere Experten hatten Zweifel. Denn das würde bedeuten, dass die Babys wissen, wie sie die Zungenbewegungen des Forschers in eigene umsetzen können. Wie sollten sie? Janine Oostenbroek von der University of York ging der Frage systematisch nach und führte Babys alle möglichen Mienen, Gesten und Albernheiten vor. Die Kleinen ließen sich nicht lumpen und strahlten, tönten und alberten ihrerseits. Nur: Was sie taten, hatte mit dem Vorgeführten nichts zu tun. Sie strecken zwar auch gerne die Zunge heraus, doch das ist zufällig einfach „die übliche Reaktion eines Babys auf interessante Stimuli“, resümiert ­Susan Jones von der Indiana University.

3 Frauen und Mathe

Warum studieren so wenige Frauen Mathematik oder eine Naturwissenschaft? Viele Forscher sind überzeugt: Wegen der verbreiteten Klischees trauen sie sich solche Fächer nicht zu und schneiden daher bei Tests schlechter ab. Denn Mädchen und Frauen gelten vielen als nicht begabt für diese Felder. Diese ­Erklärung sollen Studien belegen, in denen Frauen und Mädchen erst an solche Stereotype erinnert werden und dann beispielsweise mathematische Aufgaben ­lösen müssen. Viele dieser Arbeiten kamen zu dem Ergebnis, dass sie dann schlechter abschneiden als ohne eine solche „Bedrohung durch Stereotype“ (stereotype ­threat). Doch 2015 zeigte eine Analyse dieser Studien zum einen, dass die Bedrohung eher schwach wirkt. Zum anderen fanden sich starke Hinweise darauf, dass Untersuchungen mit gegenläufigen Resultaten einfach nicht veröffentlicht worden waren. Wie zur Bestätigung erschien wenig später eine weitere Studie mit 590 Teilnehmerinnen, weit mehr als bis dahin üblich. Und nun zeigte die praktisch mit dem Holzhammer verabreichte Bedrohung („Der Test, den Sie gleich machen werden, zeigt nachweislich Geschlechtsunterschiede“) nachweislich keine Wirkung.

4 Sorry, Herr Kaiser!

Ein Deutscher landet eher in einer Führungsposition, wenn er einen vornehm klingenden Nachnamen wie Kaiser, König oder Fürst trägt – mit diesem Befund sorgte Raphael Silberzahn 2013 für Schlagzeilen. Doch kein Jahr später gestand der Forscher, der heute an der University of Sussex tätig ist: Das Ergebnis ist falsch. Silberzahn hatte bei dem Karrierenetzwerk Xing Suchanfragen für noble Namen gestellt. Zum Vergleich fragte er besonders häufige Namen ab. Doch dabei wurde ihm eine Eigenheit von Xing zum Verhängnis. Xing listete die Manager nach den gängigsten Branchen sortiert auf. Das verzerrte die relative Häufigkeit edler und gewöhnlicher Namen. Als diese Fehlerquelle beseitigt war, fand sich kein Vorteil mehr für den Namensadel.

5 Viel Speichel um nichts

Finden wir Cartoons lustiger, wenn wir einen Bleistift breit zwischen den Zähnen halten und den Mund daher zu einer Art Lächeln verziehen? Das behauptete 1988 der Psychologe Fritz Strack. Unter einem Vorwand hatte er Versuchspersonen diese speicheltreibende Übung machen lassen. Das Experiment ging auf die Emotionstheorie Charles Darwins zurück. Der große Naturforscher meinte: Wir lächeln nicht, weil wir fröhlich sind, sondern wir sind fröhlich, weil wir lächeln.Wir interpretieren nach dieser Theorie also die Ausdruckssignale unseres eigenen Körpers und empfinden dann die entsprechende Emotion. Doch: Vor kurzem wiederholten 17 Forschungsteams den vielzitierten Bleistiftversuch in einer Reihe von Ländern. Kein einziges konnte das alte Ergebnis bestätigen.

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Beitrag Versuch und Irrtum in Heft 2/2017.

Literatur

Gregory Francis: The frequency of excess success for articles in Psychological Science. , 21/5, 2014, 1180–1187. DOI: 10.3758/s13423-014-0601-x

Robert J. Calin-Jageman u. a.: Social Psychology 45/3, 2014, 239-245. DOI: 10.1027/1864-9335/a000190

Janine Oostenbroek, u. a.: Comprehensive Longitudinal Study Challenges the Existence of Neonatal Imitation in Humans. Current Biology, 26/10, 2016, 1334-1338. DOI:10.1016/j.cub.2016.03.047

Susan Jones, Can newborn infants imitate? Wiley Interdisciplinary Reviews: Cognitive Science, 8/1-2, 2017. DOI: 10.1002/wcs.1410

Katherine M. Finnigan, Katherine S. Corker: Do performance avoidance goals moderate the effect of different types of stereotype threat on women’s math performance? Journal of Research in Personality, 2016, 63, Pages 36–43. DOI:10.1016/j.jrp.2016.05.009

Paulette C. Flore, Jelte M. Wicherts: Does stereotype threat influence performance of girls in stereotyped domains? A meta-analysis. Journal of School Psychology, 2015, 53/1, 25–44. DOI: 10.1016/j.jsp.2014.10.002

Raphael Silberzahn, Eric Luis Uhlmann: It pays to be Herr Kaiser: Germans with noble-sounding surnames more often work as managers than as employees. Psychological Science, 2013, 24/12, 2437–2444

Raphael Silberzahn, Uri Simonsohn, Eric Luis Uhlmann: Matched-Names Analysis Reveals No Evidence of Name-Meaning Effects. A Collaborative Commentary on Silberzahn and Uhlmann (2013). Psychological Science, 2014, 25/7, 1504-1505. https://doi.org/10.1177/0956797614533802

E.-J. Wagenmakers u. a.: Registered Replication Report: Strack, Martin, & Stepper (1988). Perspectives on Psychological Science, 2016, 11/6. DOI: 10.1177/1745691616674458

Fritz Strack: From Data to Truth in Psychological Science. A Personal Perspective. Frontiers in Psychology, 16 May 2017. DOI: 10.3389/fpsyg.2017.00702

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2017: Beziehungsfähig!
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