Angesichts der hohen Ansprüche an eine Feier, die von Freude und Dankbarkeit geprägt sein soll, sind Familienkrisen während der Weihnachtsfeiertage besonders häufig. Es ist ein Zeichen von Realismus und Humor geprägter Beziehungen, auf der einen Seite Geschenke freudig anzunehmen und die gute Absicht der Schenkenden anzuerkennen, auf der anderen aber schuld- und schambefreite Auswege aus dem Missraten gut gemeinter Gaben anzubieten, etwa in Gestalt von Umtausch- und Rückgabemöglichkeiten. Beide Regeln missachten Paare, in denen sich ein Teil bescheiden „nur eine gute Beziehung“ wünscht, während der andere diesen heimlichen Vorwurf mit kostspieligen Überraschungen bekämpft. Gleiches gilt für die studierte Tochter, die ihren im Arbeitermilieu beheimateten Eltern den Geldschein zurückgibt, den sie ihr zu Weihnachten zugesteckt haben, mit den Worten: Geld habe ich selber, was ich mir wirklich wünsche ist, dass ihr mich endlich versteht!
Mythos der ausnahmslos glücklichen Familie
Familie ist im romantischen Mythos der Ort, wo Menschen bedingungslos geliebt werden, akzeptiert, so wie sie sind, wo jeder jeden versteht, liebt und Rücksicht nimmt. Kritikerinnen und Kritiker des romantischen Ideals bestreiten das, Karl Kraus etwa, der seinen Einwand sprachökonomisch auf den Punkt brachte: „Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit.“
Glückliche Familien finden den Weg zwischen Harmonie und Katastrophe, weil sie den Zusammenhang zwischen Perfektion und Scheitern erkennen. Dann wird Familie auch die Bühne, auf der Kinder lernen, mit Konflikten umzugehen und Ambiguität zu ertragen. Wo sich Menschen sehr nahekommen, wird gestritten. Hilfreich ist nicht die Vermeidung von Streit durch Ausblenden aller Konflikte, sondern die Bereitschaft, sich zu versöhnen und Rechthaberei zurückzustellen, wenn es etwas zu genießen gibt.
Zivilisierte Familien sollen Kinder auf eine Welt vorbereiten und sie in diese entlassen, welche sich rapide verändert und den Eltern fremd geworden ist. Wenn erwachsene Kinder in die Familie zurückkehren, bringen sie dieses Fremde mit.
Drei Aussichten auf ein Fest ohne Krise: Pathos, Ritual und Humor
Es gibt drei Möglichkeiten, die Widersprüche und das drohende Scheitern wechselseitiger Erwartungen zu überwinden und trotz allem das Fest zu feiern: Pathos, Ritual und Humor. Pathos setzt voraus, dass die Familie sich zumindest für einen begrenzten Zeitraum auf ein Schauspiel einigen und jede Kritik zurückstellen kann. Das wird durch eine tragende Gemeinsamkeit religiöser Überzeugungen sehr erleichtert. Wenn zum Beispiel alle glauben können, dass in dieser Nacht der Heiland geboren wurde, verschwinden mögliche Gegensätze und Enttäuschungen in der Hinwendung zu einem erhöhten Dritten.
Damit verwandt ist das gemeinsam vollzogene Ritual. Familien, in denen überlieferte Weihnachtsbräuche über Generationen hinweg aufrechterhalten werden, entdecken die Wohltat von Abläufen, die sich nicht erklären müssen und unabhängig von Lust oder Unlust, Sinnhaftigkeit oder Befremdung selbstverständlich vollzogen werden, weil das eben jedes Jahr so ist und sich so gehört. Alle sind beschäftigt und abgelenkt, eine höchst schätzenswerte Strategie, um konfliktfreie Zonen zu schaffen.
Die im ersten Eindruck schwächste, auf lange Sicht aber tragfähigste Möglichkeit scheint mir die Suche nach der Komik in familiären Widersprüchen. Die sorgende Mutter, die keine Geschenke, sondern brave Kinder will, hat eine bedrückende, aber auch eine komische Seite, als ob sich Bravsein bestellen ließe. Sobald es einer Familie gelingt, angesichts des Zusammenpralls von Erwartung und Ergebnis Humor zu entwickeln, verschwindet die latente Spannung aus dem Festgeschehen. Es wird gerade im Genuss des harmlosen Unfriedens friedlich. Wir verstehen, dass romantische Liebe, wie sie inzwischen auch die ideale Elternbeziehung prägt, allein durch romantische Ironie erträglich ist.
Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Autor, Lehranalytiker und Familientherapeut in München.
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