Charakterkunde der Ruhelosen

Psychologie nach Zahlen: 5 Typen von Menschen mit gestörtem Schlaf

Die Illustration zeigt Menschen, die nachts nicht schlafen können und sich auf verschiedene Weise innerlich beruhigen möchten.
Schlafgestörte Menschen haben zwar dasselbe Problem - aber die Hintergründe unterscheiden sich © Till Hafenbrak

Schlechter Schlaf ist ein Massenleiden. Jede dritte Person klagt über Probleme mit dem Ein- und Durch­schlafen und jede zehnte erfüllt die Kriterien einer Insomnie, einer klinischen Schlafstörung. Doch auch wenn die Symptome – langes Wachliegen am Abend oder in der Nacht – bei allen ähnlich sind, ticken dies schlafgestörten Menschen offenbar ziemlich unterschiedlich. So sind Therapien, die bei dem einen gut anschlagen, bei der anderen wirkungslos und um­gekehrt.

Um das Verständnis und die Behandlung zu verbessern, haben niederländische Forscher nun einen großangelegten Versuch unternommen, etwas Struktur in die Einheitsdiagnose zu bringen. Sie werteten dazu Dutzende von Fragebögen zu Schlaf, Lebensgeschichte, Persönlichkeit und vielem mehr aus, die 4322 Besucher der Onlineplattform Netherlands Sleep Registry beantwortet hatten. Zusätzlich nahmen manche der Probanden an klinischen und hirnphysiologischen Studien teil.

In diesem riesigen Datensatz suchten Tessa Blanken und ihre Kollegen nach Mustern – und stießen auf fünf Kategorien von schlafgestörten Menschen. Auch fünf Jahre später waren die allermeisten Teilnehmer ihrem „Typ“ treu geblieben. Anders als die Forscher geben wir den fünf Typen hier je eine etikettierende Überschrift:

1 Die Depressiven

Diese Menschen – sie stellen 19 Prozent der Schlafgestörten – trifft es am härtesten. Sie zeigen durchweg hohe Werte von psychischem und physiologischem Stress: Ihr Körper ist stetig in Aufruhr, sie sind oft niedergeschlagen, neigen zum Grübeln und haben kaum Lebensfreude und Lebensqualität. Sie schlafen nicht nur wenig, sondern auch unruhig, haben öfter Albträume, schrecken aus dem Schlaf hoch.

Häufig quälen sie sich bereits seit ihrer Kindheit mit Schlafproblemen. 54 Prozent von ihnen hatten in ihrem Leben schon mindestens einmal eine depressive Episode, und auch bei den anderen liegt der Verdacht nahe, dass sie „subklinisch depressiv“ sind. Die Forscher empfehlen ihnen, an Präventionsprogram­men gegen Depressionen teilzunehmen.

2 Die Empfindsamen

Personen dieser Kategorie, die knapp ein Drittel der Schlafgestör­ten ausmachen, empfinden ebenfalls viel inneren Aufruhr. Darin ähneln sie Typ 1. Der Unterschied: Ihr Depressionsrisiko ist dreimal geringer. Diese Menschen neigen nämlich nicht per se zu dunklen Emotionen, sie sind durchaus empfänglich für Freude und angenehme Gedanken. Doch sie sind außerdem sehr dünnhäutig, reagieren rasch besorgt auf alarmierende Vorfälle oder Konflikte. Sie sind dann vor dem Zubettgehen zu aufgewühlt, um zur Ruhe zu kommen und friedlich durchzuschlafen.

Wie sich herausstellte, profitieren Menschen dieses Typs besser als andere von einer kognitiven Verhaltenstherapie, die darauf abzielt, abends abzuschalten und die psychophysiologische Betriebsamkeit, das arousal, herunterzufahren. Wahrscheinlich aus demselben Grund schlagen bei ihnen auch Beruhigungsmittel, Benzodiazepine, vergleichsweise gut an.

3 Die Traumatisierten

Ein hyperreaktives Nervensystem scheint das besondere Kennzeichen jener 20 Prozent der Schlafgestörten zu sein, die auf diesen Typ entfallen. Sie werden ungewöhnlich stark mitgenommen von belastenden Lebensereignissen wie etwa einer Trennung, einer Krankheit, einem Umzug. Noch lange danach ist ihr Schlaf gestört.

Überhaupt reagiert ihr Organismus hochgradig sensibel auf beunruhigende Signale aller Art, selbst auf harmlose Reize. Die niederländischen Forscher spielten ihren Probanden per Kopfhörer Standardtöne vor und beobachteten im Wellenmuster des Elektroenzephalogramms, wie ihr Nervensystem darauf reagierte. Charakteristischerweise kommentiert das Gehirn solche Reize mit einem markanten Ausschlag nach etwa 300 Millisekunden. Dieser Zacken fiel bei schlafgestörten Menschen vom Typ 3 auffallend steil aus. Auch wirkte der Ton selbst nach 1000 Millisekunden noch stärker nach als bei anderen Teilnehmern.

Harmlose Reize lösen bei diesen Menschen also eine heftige Orientierungsreaktion und emotionale Bewertung aus, so die Forscher. Und noch etwas fällt bei Personen vom Typ 3 auf: Sie berichten häufiger von Kindheitstraumata. Vielleicht benötigen sie eine Traumatherapie, mutmaßen die Autoren. Kognitive Verhaltenstherapie schlug bei ihnen jedenfalls nicht gut an.

4 Die Betrübten

Diese Leute – 15 Prozent der Stichprobe – sind nicht von vornherein so ruhelos und besorgt wie Menschen vom Typ 1. Doch wenn dunkle Gedanken ihnen den Schlaf rauben, haben sie ihnen wenig Helles entgegenzusetzen, denn intensive Empfindungen von Freude, Lebensmut, Vergnügen, Lust sind ihnen weitgehend fremd. „Positiver Affekt“ ist bei ihnen spärlicher ausgeprägt als bei jedem anderen Typ, und gemessen an der Kontrollgruppe trennen sie Welten von einem Normalmaß an Lebensfreude. Sie sind, im Jargon der Forscher, „insensitiv für Belohnung“, also kaum empfänglich für all die großen und kleinen Aufmunterungen, die der Alltag bereithält.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch bei diesem Typ 34 Prozent schon einmal in eine handfeste Depression geschlittert sind. Beruhigungsmittel verhelfen den Betroffenen nicht zu besserem Schlaf, denn ihr Problem ist nicht ein Zuviel an Aufregung, sondern ein Zuwenig an Lebensmut. Die niederländischen Schlafforscher schlagen vor, hier auf emotionsfokussierte Therapien zu setzen.

5 Die Abgestumpften

Dieser Typus ist wohl am schwersten zu fassen. Denn diese Personen – 15 Prozent der Schlafgestörten – fallen eher durch die Abwesenheit von Symptomen und Besonderheiten auf. Sie sind „wenig reaktiv“: Ihr gleichbleibend schlechter Schlaf verschlimmert sich kaum nach einschneidenden Lebensereignissen.

Sie werden selten von Albträumen behelligt, neigen nicht zum Grübeln, Kindheitstraumata sind rar. Sie sind wenig aktiv, wenig leidenschaftlich, häufig erschöpft. Es mangelt ihnen an Freude und emotionaler Resonanz – und genau da könnte eine Therapie ansetzen.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2019: Mut zur Angst
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